Morgens, halb neun am Chiemsee. Während manche Urlauber auf dem Gaskocher vor ihrem Zelt den ersten Kaffee des Tages zubereiten, wird am Ufer des Campingplatzes schon geturnt. Die 19-jährige Alina vom "Kirche unterwegs"-Team macht mit kleinen Frühaufstehern Übungen und Spiele, Morgensport. Mit ihr sind in diesem Jahr rund 40 ehrenamtliche Campingseelsorger der evangelischen Landeskirche auf Plätzen in Bayern und Italien im Einsatz, quasi als Animateure im Auftrag des Herrn.
Ergreifende Segensfeiern am Strand, aber auch heftige Diskussionen über Kirche mit AfD-Sympathisanten - die Bandbreite der Erlebnisse der Seelsorger ist groß, erzählt Martin Behnisch-Wittig. Der 59-jährige Pfarrer aus Duisburg war in diesem Jahr in Italien, zwischen Venedig und Jesolo. Gemeinsam mit den Handpuppen Rabe Krax und Schnecke Speedy hat er die "Kirche unterwegs" dort betreut. Sein Höhepunkt: die erste Fackelwanderung am Strand mit mehr als 60 Campern und Camperinnen. Eingerahmt von einem Mitmachlied erzählte der Pfarrer die Jona-Geschichte. Als die Fackeln abgebrannt waren, ging über dem Meer rot der Vollmond auf. "Der Segen hätte keinen besseren Hintergrund haben können", sagt er.
Manche Camper richten ihren Urlaub nach den Einsatzzeiten der "Kirche unterwegs", erzählt er. Ihnen sei das umfangreiche Angebot der Platzanimation zu hektisch und zu anonym. Bei der Campingseelsorge gehe es dagegen auch mal ruhiger zu. Wie beim Regenschirmbemalen vergangene Woche. "Das ist eine richtig meditative Stimmung hier", sagte eine Frau dort. Und die sei häufig der Schlüssel zu tiefergehenden Gesprächen.
Gerade Familien sprechen die Kreativangebote, Lagerfeuer und Andachten im Fackelschein an, sagt Astrid Polzer. Sie ist die zuständige Pfarrerin für die im Amt für Gemeindedienst der bayerischen Landeskirche angesiedelte "Kirche unterwegs". Bei der Kinderstunde wird gespielt, gesungen, gebastelt und in biblische Geschichten hineingehört. "Wir wollen Jung und Alt locken, die eigene Kreativität zu entdecken", sagt sie.
Ein Geheimnis des Angebots ist seine Niedrigschwelligkeit. Die Menschen können von weitem schauen, weitergehen, näherkommen. Und das seit fast 60 Jahren: 1962 wurde die erste "Autokirche" eingeweiht, um dorthin zu gehen, wo die Menschen sind und Zeit haben, erzählt Polzer. Seit 20 Jahren sind die Teams an festen Plätzen zu Gast. "Die hätten uns gern länger da als wir schaffen", sagt sie. Aus Sicht der Plätze sei das Angebot eine günstige und gute "Animation"; es kostet sie nur die Stellplätze, Wasser und Strom - "und wenn sie mögen eine Spende".
Familiengottesdienst in Campingkirche
Venezianische Masken bemalen, Holzblockkerzen gestalten oder Handpuppen basteln. Kinoabend, Quiz, Fackelwanderung. Dazu die täglichen "Betthupferl", eine Abendandacht mit Bewegungsliedern, Gebet, Segen - und Puppenspiel. "Uns gibt das die Möglichkeit, mit Augenzwinkern und Herumalbern Inhalte zu vermitteln", beschreibt Polzer. Die Puppenspiele werden jeden Abend aktuell entworfen und beziehen ein, was die Kinder beschäftigt.
Sonntags halten Pfarrer Behnisch-Wittig und sein Team in der platzeigenen Campingkirche in Italien einen Familiengottesdienst, bei dem die Kinder die Glocken läuten dürfen. Behnisch-Wittig entdeckte die Campingseelsorge in den Niederlanden, suchte in Deutschland Vergleichbares und wurde in Bayern fündig. Seitdem ist er fast jeden Sommer als Seelsorger am Chiemsee, am Waginger See und zwölf Mal in Italien dabei gewesen.
Coronabedingt weniger Helfer als sonst
Doch die Seelsorger sind keineswegs alle Pfarrer. "Viele sind Camper, manche kommen allein, manche als Familie", sagt Pfarrerin Polzer. Im normalen Leben leitet Marcus Höner vom Team Chiemsee die Geschäftsstelle einer Versicherung. Neugierig auf "Kirche unterwegs" sei er durch seinen Sohn geworden, der Theologie studiert, erzählt der 50-Jährige. Singen und Verkündigen zähle zwar nicht zu seinen Stärken - "aber organisieren kann ich", sagt er. Und ist mit diesem Talent und seinen Kindern am Start.
Die meisten Campingseelsorger sind zwischen 16 und 70. "Manche suchen nach sinnvoller Tätigkeit im Urlaub, manche freuen sich, durch die Mitarbeit Urlaub machen zu können, der finanziell sonst nicht möglich wäre", beschreibt Polzer. Denn neben dem Programm bleibe ja auch Freizeit. Coronabedingt haben sich in dieser Saison jedoch weniger Ehrenamtliche gemeldet: Knapp 40 Menschen sind im Einsatz, sonst sind es bis zu 70. Die Leute wollten im Sommer vieles nachholen - "Einige sagen ab, weil es ihnen zu riskant ist in dieser Zeit."
Auch sonst spürt die Campingseelsorge die Pandemie. Mit 100 Leuten eng am Lagerfeuer Stockbrot teilen, wilde Fangspiele mit 30 Kindern - nicht erlaubt. "Wir vermissen vieles an Gemeinschaft, was durch die Hygienekonzepte einfach nicht möglich ist", sagt Polzer. Ihr fehlt vor allen die Spontaneität vor Ort, alles müsse genau geplant, portioniert und vorgefertigt werden.
Dennoch sind sich die Campingseelsorger einig, wie wertvoll Urlaub und "Kirche unterwegs" gerade auch in dieser Zeit sind, die für viele von Corona und den heftigen Starkregen-Unwettern geprägt ist. Pfarrer Behnisch-Wittig betont: "Es ist eine dringend gebrauchte Abwechslung in einer ausgesprochen angespannten Situation."