Meist zeigt sich erst am Ende eines Films, wie raffiniert die Geschichte eingefädelt war. Das gilt auch für diese fünfte Episode aus der Krimireihe "Friesland" (eine Wiederholung aus dem Jahr 2017). Die Handlung beginnt ganz harmlos mit Ostfriesisch für Anfänger, dann rettet Kleinstadtpolizist Jens Jensen (Florian Lukas) einen Igel von der Straße.
Tilmann P. Gangloff, Diplom-Journalist und regelmäßiges Mitglied der Jury für den Grimme-Preis, schreibt freiberuflich unter anderem für das Portal evangelisch.de täglich TV-Tipps und setzt sich auch für "epd medien" mit dem Fernsehen auseinander. Auszeichnung: 2023 Bert-Donnepp-Preis - Deutscher Preis für Medienpublizistik (des Vereins der Freunde des Adolf-Grimme-Preises).
Die gute Stimmung erhält einen ersten Dämpfer, als es zu einer unangenehmen Begegnung mit einem Autofahrer kommt: Der unsympathische Luke (Florian Panzner) gehörte einst mit Jens zur gleichen Jugendclique, bis ein äußerst unschöner Vorfall die Freundschaft beendete. Die Ziffern auf dem Nummernschild (666) von Lukes Angeberauto deuten ohnehin an, dass er in der nun folgenden Geschichte eine unrühmliche Rolle spielen wird. Kurz drauf lassen Timo Berndt (Buch) und Markus Sehr (Regie), die auch für den letzten "Friesland"-Krimi ("Irrfeuer") verantwortlich waren, endgültig alle Heiterkeit fahren: Jensen überprüft allein einen stillen Alarm in einer Apotheke und trifft dort auf einen Mann, der einst ebenfalls zur Clique gehörte, bis er wegen eines Überfalls mit Todesfolge ins Gefängnis kam. Es war Jensen, der ihn damals verhaftet hat, und der Polizist kommt dem Verbrecher offenbar gerade recht; mit einem gezielten Nothilfeschuss kann Kollegin Süher Özlügül (Sophie Dal) gerade noch verhindern, dass der Mann die alte Rechnung begleicht. Auf seinem Telefon entdeckt Süher Aufnahmen einer Krabbenfabrik. Der zaudernde Jensen will seine anstehende Beförderung nicht durch eigenmächtige Ermittlungen gefährden, begleitet die Kollegin aber trotzdem. Prompt finden sie dort durch Zufall den eisgekühlten Leichnam des Besitzers. Für Brockhorst (Felix Vörtler), den Chef des Duos, ist der Fall klar: Die Frau des Fabrikanten hat ihren Mann auf dem Gewissen, weil der ihr nicht wie versprochen den Traum vom eigenen Restaurant erfüllt hat; aber Süher ist sicher, dass es einen Zusammenhang zwischen dem Einbruch in der Apotheke und der Krabbenfabrik gibt.
Die Vielzahl der Personen, die Berndt nun ins Spiel bringt, ist beinahe ebenso eindrucksvoll wie die unvermutete Komplexität, die die über weite Strecken erfreulich rätselhafte Handlung annimmt. Unter anderem geht es geht um Krabbenpreise und gefälschte Krebsmedikamente; die verschiedenen Ebenen erzählen von Jugend-, Ehe- und Familiendramen, von zerstörten Hoffnungen und geplatzten Träumen. Für das Verhältnis von Jens Jensen und Süher Özlügül gilt das nicht: Was als potenzielle Beziehung begann, hat sich zu einer freundschaftlichen Partnerschaft entwickelt. Für die amouröse Ebene sind mittlerweile nur noch Brockhorst und die auch diesmal wieder eifrig kriminalisierende Apothekerin Scherzinger (Theresa Underberg) zuständig. Entsprechend empört muss "Brocki" mitansehen, wie sich Insa auf eine Liebelei mit einem Medikamentengroßhändler (Roman Knizka) einlässt, und weil in dieser Geschichte wirklich jeder in die Verbrechen verwickelt ist, mischt auch der Händler munter mit.
Den Rest besorgen die flotte Musik (Tobias Wagner, Steven Schwalbe), der trockene Wortwitz, die kleinen Gemeinheiten des Bestatters (Holger Stockhaus), der seinen von ihm gern "Oberforstrat" genannten Untermieter Brockhorst loswerden will, sowie die ausnahmslos guten Darbietungen. Sehr sympathisch ist auch der Umstand, dass der Film nach Sühers Rettungsschuss nicht einfach so zur Tagesordnung übergeht, sondern der Polizistin die nötige Zeit gibt, den Schock zu verarbeiten. Im Anschluss (21.45 Uhr) zeigt Neo die ebenfalls äußerst unterhaltsame sechste Episode, "Der blaue Jan". Hauptdarsteller Lukas ist nun durch Maxim Mehmet ersetzt worden, was der Reihe aber nicht geschadet hat.