Soziologe: Party im Park weitaus unbedenklicher als volles EM-Stadion
01.07.2021
epd
epd-Gespräch: Daniel Behrendt

Hildesheim (epd). Mit Blick auf verbreitete Kritik an wiedererwachten Party-Aktivitäten in Parks und an öffentlichen Plätzen rät der Soziologe Michael Corsten zu mehr Toleranz und Gelassenheit. „In einer derzeit relativ entspannten Corona-Lage sollten wir gerade jungen Menschen ein wenig Freude und und ein gesundes Maß an Selbstvergessenheit gönnen“, sagte der Professor an der Universität Hildesheim dem Evangelischen Pressedienst (epd).

Zwar beobachte auch er nach einer rund anderthalbjährigen Corona-Zäsur eine „Disbalance“ zwischen „Partygängern, die das Gefühl für das Maß beim Feiern verloren haben, Anwohnern, die keine Lärmbelästigung mehr gewohnt sind und Bürgern, die die jähen Partys als Bedrohung empfinden“. Zugleich äußerte sich Corsten zuversichtlich, dass Rücksichtnahme und Toleranz mit wachsender Normalisierung des öffentlichen Lebens wieder in Balance kommen.

Debatten um eine zunehmende Rücksichtslosigkeit von Feiernden - etwa angesichts einer starken Vermüllung von Partyzonen - hält Corsten für überzogen. Derzeit gebe es aus „außer Parks und Uferzonen“ kaum Plätze, an denen Feiern möglich sei. „Die Erfahrung zeigt, dass sich die Menschen die Räume nehmen, die man ihnen lässt“, betonte der Soziologe, der seit Beginn der Pandemie zu den Auswirkungen der Corona-Maßnahmen auf Jugendliche forscht. „In dieser Konzentration auf wenige Orte wirken die derzeitigen Party-Aktivitäten exzessiver als sie eigentlich sind.“

Zugleich gab Corsten zu bedenken, dass derzeit im Zuge der Fußball-Europameisterschaft zehntausende Menschen in Sportstadien zusammenkommen. „Dass sich 45.000 Fans im Londoner Wembley-Stadion drängen und hinterher zudem in womöglich noch viel unkontrollierterer Weise Party machen, erachte ich für weitaus problematischer“, sagte der Soziologe.

Hier zeige sich, dass das Verständnis eines angemessenen Verhältnisses von Freiheit und Verantwortung in Europa „je nach Land und Kontext sehr unterschiedlich“ sei: „Auf der einen Seite schauen Millionen Menschen am Fernsehschirm einem unter Pandemie-Gesichtspunkten hochriskanten Event in Wembley zu, auf der anderen Seite regen sich womöglich dieselben Menschen über ein paar feiernde Jugendliche im Stadtpark auf: Das erlebe ich schon als Widerspruch“, sagte Corsten.

Von der Politik forderte der Wissenschaftler einen Kurs, der die Abwendung der Pandemie und die Gestaltung von Freiheitsräumen sorgsamer austariert als bisher. „Wir sind, zumindest vorerst, in einer Lage, die mehr Freiheit ermöglicht - persönlich, aber auch in den Bereichen Bildung und Kultur, die lange zurückstecken mussten“, sagte er. Damit diese Freiheitsräume erhalten blieben, müssten lange auf dem Tisch liegende Präventionskonzepte - etwa zur Belüftung von Klassenräumen - jetzt schnell und pragmatisch umgesetzt werden.