Kassel (epd). Ein sogenanntes offenes Kirchenasyl für Flüchtlinge darf nicht zu geringeren Asylleistungen führen. Es stellt ein „widersprüchliches Verhalten“ des Staates dar, wenn dieser dem zur Ausreise verpflichteten Asylsuchenden vorwirft, mit dem Kirchenasyl rechtsmissbräuchlich seinen Aufenthalt zu verlängern, die Behörde den Aufenthalt in einer Gemeinde aber duldet, urteilte das Bundessozialgericht (BSG) am Donnerstag in Kassel. (AZ: B 7 AY 4/20 R)
Konkret ging es um eine aus Äthiopien stammende Frau, die im Sommer 2016 über Italien nach Deutschland einreiste und einen Asylantrag stellte. Da nach den geltenden EU-Vorschriften Italien für ihr Asylverfahren zuständig war, wurde ihr Asylantrag als unzulässig abgelehnt. Die entsprechenden Vorschriften sehen eine Frist zur Überstellung nach Italien innerhalb von sechs Monaten vor.
Die Frau wollte dem aber entgehen. Sie floh vom im Jahr 2017 in ein sogenanntes offenes Kirchenasyl einer fränkischen Kirchengemeinde. Der Pfarrer hatte der Ausländerbehörde mitgeteilt, dass die schwerbehinderte Asylsuchende in den Gemeinde-Räumlichkeiten lebt.
Als die Überstellungsfrist nach Italien abgelaufen war, war nun Deutschland für das Asylverfahren zuständig. Die Klägerin erhielt abgesenkte Asyl-Grundleistungen, die unter dem Sozialhilfeniveau liegen. Nach 15 Monaten Aufenthalt in Deutschland können Flüchtlinge jedoch höhere, sogenannte Analogleistungen erhalten, vergleichbar der regulären Sozialhilfe.
Die Stadt Bayreuth hatte diese verweigert. Die Klägerin habe ihren Aufenthalt in Deutschland „rechtsmissbräuchlich“ selbst in die Länge gezogen, indem sie sich in das Kirchenasyl begeben habe und eine Abschiebung verhindern wollte.
Das BSG sprach der Klägerin jedoch höhere Leistungen zu. Wenn ein Flüchtling trotz seiner Ausreisepflicht in ein offenes Kirchenasyl Schutz vor Abschiebung gesucht habe, liege kein rechtsmissbräuchliches Verhalten vor. Die Klägerin habe letztlich nur politische Absprachen zwischen dem Staat und den Kirchen genutzt, dass Flüchtlinge im offenen Kirchenasyl nicht abgeschoben werden. Faktisch habe der Staat auf die Durchsetzung der Ausreisepflicht verzichtet. Dies dürfe der Klägerin nicht vorgehalten werden.
Den Behörden sei auch der Aufenthalt bekannt gewesen, so dass die Klägerin nicht als „flüchtig“ gelte, entschied das BSG mit Verweis auf der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts. Eine Gesetzesänderung von 2015 stehe dem Anspruch der Frau auf höhere Sozialleistungen auch nicht entgegen.