Erfurt (epd). Von ausländischen Unternehmen nach Deutschland entsandte Pflegekräfte haben nach einem Gerichtsurteil Anspruch auf den in Deutschland geltenden gesetzlichen Mindestlohn. Der Rechtsanspruch gelte auch, wenn sie rund um die Uhr, sieben Tage die Woche pflegebedürftigen Menschen in ihrem Haushalt unterstützen, urteilte am Donnerstag das Bundesarbeitsgericht (BAG) in Erfurt. (AZ.: 5 AZR 505/20)
Mit ihrer Klage verlangte eine bulgarische Pflegekraft, die von ihrem bulgarischen Arbeitgeber nach Deutschland entsandt wurde, eine Bezahlung nach dem deutschen Mindestlohn. Sie wurde zunächst in Privathaushalten in Koblenz und Bonn eingesetzt. Ab Januar 2014 kam sie auf Vermittlung der Deutschen Seniorenbetreuung, einer in Deutschland ansässigen Agentur, bei einer über 90-jährigen betreuungsbedürftigen Frau in deren Wohnung in einer Seniorenwohnanlage in Berlin zum Einsatz.
Laut Arbeitsvertrag sollte sie sechs Stunden täglich und 30 Stunden wöchentlich arbeiten. Die Klägerin gab jedoch an, dass die Arbeit viel länger war. Sie habe 24 Stunden täglich an sieben Tagen in der Woche gearbeitet bzw. sei in ständiger Bereitschaft gewesen. Sie verlangte für die Monate Mai bis August und Oktober bis Dezember 2015 für die Nachzahlung des Mindestlohnes 42.636 Euro abzüglich bereits gezahlter 6.680 Euro. Der Arbeitgeber lehnte ab und bestritt, von der Mehrarbeit überhaupt Kenntnis gehabt zu haben.
Das Landesarbeitsgericht (LAG) Berlin-Brandenburg ging davon aus, dass der Frau für 21 Stunden pro Kalendertag Mindestlohn zustehe, insgesamt 38.377 Euro brutto abzüglich des bereits gezahlten Lohnes. Das Gericht nahm täglich drei Stunden Freizeit an.
Das BAG verwies das Verfahren an die Vorinstanz zurück, stellte aber fest, dass bei einer Rund-um-die-Uhr-Betreuung über Wochen und Monate die betroffenen ausländischen Pflegekräfte Anspruch auf den gesetzlichen Mindestlohn haben. Dazu gehöre auch ein Bereitschaftsdienst, der ebenfalls voll vergütet werden müsse. Ein solcher könne darin bestehen, „dass die Betreuungskraft im Haushalt der zu betreuenden Person wohnen muss und grundsätzlich verpflichtet ist, zu allen Tag- und Nachtstunden bei Bedarf Arbeit zu leisten“, urteilte das BAG.
Wie hoch die tatsächliche Arbeitszeit der Klägerin war, sei jedoch nicht ausreichend geklärt worden. Für die Annahme, dass die Frau drei Stunden Freizeit pro Tag hatte, fehle es an Anhaltspunkten. Das LAG müsse daher die Vollarbeit oder den Bereitschaftsdienst und die Freizeitstunden noch einmal prüfen. Nach Aktenlage sei es aber „nicht fernliegend“, dass die Klägerin mehr als die vereinbarten 30 Wochenstunden gearbeitet habe.
Nicht zu entscheiden hatten die obersten Arbeitsrichter, inwieweit ein monatelanger Rund-um-die-Uhr-Einsatz mit Blick auf den Arbeitsschutz überhaupt zulässig ist.