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TV-Tipp: "Kopfplatzen"
Dienstag, 15. Juni, ARD, 23.05 Uhr
Es sind vor allem zwei Aspekte, die seit 120 Jahren den Reiz des Kinos ausmachen: Filme zeigen den Menschen andere Welten; aber sie geben ihnen auch die Möglichkeit, die Welt durch andere Augen zu sehen.

Dieser andere Blick kann den Horizont erweitern, er kann lustvoll sein, aber auch verstörend, wenn die protagonistische Perspektive wie in Michael Powells Klassiker "Augen der Angst" (1959) zum Beispiel die eines Mörders ist; oder, wie im Fall von "Kopfplatzen", die eines Mannes, der durch den Anblick kleiner Jungs erregt wird. Natürlich zeigt Sava? Ceviz (Buch und Regie) in seinem Debütfilm nicht, wie Kinder missbraucht werden, und ebenso selbstredend vermeidet er es, die Bilder erotisch aufzuladen; andererseits lassen sie keinen Zweifel daran, dass der achtjährige Arthur aus der Nachbarschaft für den circa dreißig Jahre alten Architekten Markus (Max Riemelt) ein Objekt der Begierde und somit eine permanente Versuchung darstellt.

Der stark episodisch konzipierte Film beginnt mit Eindrücken aus einem ganz normalen Leben: Markus beim Kampfsporttraining, Markus auf dem Heimweg, Markus bei der Arbeit. Er schaut ein paar Kindern beim Kicken zu; alles ganz harmlos. Als eine Kollegin nach Feierabend mit ihm in eine Bar möchte, hat er angeblich schon was vor; aber den Abend verbringt er allein daheim. Auch das kann noch alles Mögliche bedeuten; aber dann macht er Fotos von Jungs im Fernsehen. Als er kurz drauf seinen kleinen Neffen zu dessen Geburtstag besucht, ist der Blick auf die innige Umarmung schon nicht mehr unbefangen. Später folgt er einem Jungen in den Park, und spätestens jetzt beginnt "Kopfplatzen", unangenehm zu werden. Das steigert sich, als Markus eine neue Nachbarin bekommt. Jessica (Isabell Gerschke) findet offenkundig Gefallen an dem attraktiven Single. Dass Markus immer mehr Zeit mit ihr verbringt, hat jedoch andere Gründe: Jessica hat einen hübschen Sohn, Arthur (Oskar Netzel), der schnell Zutrauen zu Markus fasst; aber die Gefühle, die Markus für ihn hegt, sind keineswegs väterlicher Natur.

Pädophilie ist grundsätzlich ein heikles Filmthema; die Devise "Wegsperren, und zwar für immer" dürfte auf eine breite Zustimmung stoßen. Dass Ceviz nicht vor hatte, solche plumpen Parolen zu bedienen, versteht sich im Grunde von selbst. Trotzdem ist "Kopfplatzen" eine Gratwanderung: Das Drehbuch lädt zur Identifikation mit einem Mann ein, der in den Augen vieler Zeitgenossen ein Monster ist, selbst wenn er beteuert, unter seiner Neigung zu leiden und noch nie ein Kind missbraucht zu haben. Bislang begnügt er sich damit, Jungs zu betrachten, etwa im Schwimmbad; aber das genügt natürlich, um ihn zu diskreditieren. Eine Szene genügt, um zu verdeutlichen, wie wenig sich das eine mit dem anderen, die Abscheu der Mitmenschen und Markus’ Verzweiflung, in Einklang bringen lässt: Ein Arzt (Michael Schenk), dem er gesteht, dass er Kinder liebt, reagiert ganz und gar unprofessionell und schickt ihn schockiert weg. Hilfe bekommt er erst von einem Psychotherapeuten (Ercan Durmaz), der ihm jeglichen Kontakt zu Kindern verbietet, aber das ist leichter gesagt als getan, denn Jessica hat sich mittlerweile in ihn verliebt, und für Arthur ist er längst eine Art Vaterersatz, was Markus mehrfach in die Bredouille bringt. Auf einem Zettel hat er ein Nietzsche-Zitat notiert, das wie eine Absolution in eigener Sache klingt: "Was aus Liebe getan wird, geschieht immer jenseits von Gut und Böse". Deshalb schwant Jessica umgehend Böses, als es kommt, wie es kommen muss: Sie entdeckt erst die Notiz und dann die Aufnahmen, die Markus von Arthur im Schwimmbad gemacht hat; und schließlich auch den Rest seiner Fotosammlung.

Es ist vor allem Max Riemelts differenziertes Spiel in Verbindung mit den kühlen grauen Bildern, das "Kopfplatzen" zu einem besonderen Werk macht. Die Kamera (Anne Bolick) konzentriert sich stets auf ihn. Beim Gespräch mit dem Therapeuten zum Beispiel zeigt Savas nicht wie bei Dialogszenen üblich mal den einen, mal den anderen, sondern meistens Markus. Auf diese Weise fokussiert sich der Film noch stärker als ohnehin auf seinen Protagonisten. Wenn er seine Perspektive einnimmt, wird es oft grenzwertig: Beim Sex mit Jessica kann Markus erst dann eine gewisse Leidenschaft entwickeln, als sein Blick auf ein Foto von Arthur fällt. Mutig ist der Film auch wegen der früh erklärten Ausweglosigkeit: Der Psychiater macht seinem Patienten klar, dass es keine Erlösung für ihn geben wird, denn Pädophilie sei keine Krankheit, die sich heilen ließe; er werde also damit leben müssen. Der Sexualtrieb lässt sich mit Medikamenten unterdrücken, aber ein Leben mit Jessica und Arthur als glückliche Familie ist Markus nicht vergönnt. Diese Ankündigung ist auch aus Sicht des mitfühlenden Publikums ernüchternd; ein zwar unaufdringlich, aber dennoch symbolträchtig ins Bild gesetztes blutiges Messer lässt ebenfalls Böses schwanen. Wie sehr sich Markus als Einzelgänger fühlt, der allenfalls in einem Chat unter Gleichgesinnten Einblicke in sein Gefühlsleben geben kann, verdeutlicht Savas durch die regelmäßigen Besuche seiner Hauptfigur bei einem seiner Freiheit beraubten Wolf; auch wenn es dieser Metapher im Grunde nicht bedurft hätte.