Die Hand des Herrn ergriff mich und ich hatte eine Vision: Der Herr führte mich durch seinen Geist hinaus und brachte mich mitten in eine Ebene. Dort lagen überall Knochen. Gott führte mich an den Knochen vorbei und in der Ebene umher. Die ganze Ebene lag voller Knochen, die völlig ausgetrocknet waren. Gott sagte zu mir: „Du Mensch, können diese Knochen wieder lebendig werden?“ Ich antwortete ihm: „Herr, mein Gott, du weißt es!“ Da sagte er zu mir: „Rede als Prophet zu diesen Knochen und sag zu ihnen: Ihr vertrockneten Knochen, hört das Wort des Herrn! So spricht Gott, der Herr zu diesen Knochen: Ich selbst gebe meinen Geist in euch und ihr werdet wieder lebendig!“
Ezechiel 37,1-5 in der Übersetzung der Basisbibel. Die ganze Vision können Sie sich hier von Helge Heynold vorlesen lassen.
Liebe Lebendige,
ich hoffe, dass Sie das „Licht am Ende des Tunnels“, von dem so viel in der Pandemie die Rede war, mittlerweile auf Ihrem Gesicht spüren können. Oder haben Sie das Gefühl, dass der Frühling Sie diesmal vergessen hat? Die Pandemie geht in unserem Land zwar zu Ende, aber sie tut das quälend langsam. Es geht kein Ruck durch das Geschehen. Man kann sich berechtigterweise fragen, ob jemals jemand mit Verstand sagen wird: „So, das wars. Wir haben es geschafft!“ Selten haben wir so sehr auf ein Ziel hingelebt, das sich gleichzeitig so verflüchtigt. Längst warnt man uns, dass wir das Virus nicht besiegen können, sondern lernen müssten, mit ihm zu leben.
Vielleicht ist das das Stichwort, das wir brauchen: Leben! Wenn wir die Pandemie überleben und uns schließlich wieder lebendig fühlen können, dann haben wir es geschafft. Diese Sichtweise würde uns frei davon machen, dass jemand anderes uns sagt, dass es so weit ist. Mir gefällt der Gedanke, wir könnten auf diese Weise wieder mehr Autonomie erlangen. Andererseits ist es schwierig, sich tatsächlich lebendig zu fühlen, wenn man immer noch eingeschränkt ist.
Der Prophet Ezechiel erlebt mit seinem Volk ebenfalls eine große Krise. Gefangenschaft durch eine fremde Nation. Zerstörung, Tod und Hoffnungslosigkeit bestimmen seine Gegenwart, als Gott ihn „ergreift“ und er eine schaurige Vision hat. Er sieht sich in einer Ebene, in der überall ausgetrocknete Knochen liegen. Dazu stellt Gott Ezechiel eine merkwürdige Frage: „Du Mensch, können diese Knochen wieder lebendig werden?“ Was soll Ezechiel antworten? Zu sagen, dass es unmöglich wäre, würde Gott vielleicht beleidigen. Soll er antworten: „Ja, Gott, du kannst das“? Dazu müsste er das tatsächlich glauben, denn sicherlich will er Gott nicht anlügen. Also weicht Ezechiel einer klaren Antwort aus. Er zeigt seine Ergebenheit und sagt: „Herr, mein Gott, du weißt es!“ Aber Gott scheint in diesem Moment keine Unterwürfigkeit zu erwarten. Er sagt Ezechiel, er solle als Prophet zu den Knochen reden und ihnen in Gottes Namen sagen, dass sie wieder lebendig werden.
Es folgt eine unheimliche Szene, in der die Knochen tatsächlich wieder Fleisch, Sehnen und Geist bekommen, bis die Körper schließlich wieder auf ihren Füßen stehen. Der entscheidende Moment dieser Szene aber scheint mir zu sein, dass Gott Ezechiel auffordert, als Prophet zu sprechen. Zunächst redet er ihn mit „Mensch“ an. Als Ezechiel sich weigert, auf seine Frage zu antworten, weist Gott ihn auf seine Rolle hin. Hör auf, wie ein Mensch zu denken und zu reden. Sprich als Prophet. Sprich als jemand, der in Gottes Namen redet und sprich: „Das Leben kehrt zurück!“
Mir gefällt diese Aufforderung Gottes. Wer wie ein Prophet eng mit Gott verbunden ist, kann die eigene menschliche Perspektive verlassen und wie Gott auf die Welt schauen. Aus Gottes Perspektive spielt es keine Rolle, wie trocken und ausgeblichen ein Knochen ist. Wenn das Leben kommt, wird selbst dieser Knochen wieder lebendig.
Nun sind wir keine Propheten wie Ezechiel. Gott flüstert uns nicht ein, was wir in seinem Namen sagen sollen. Aber dennoch haben wir alle die Osterbotschaft gehört vom Leben, das wiederkommt, und das macht uns ebenfalls zu Prophetinnen und Propheten dieser Botschaft. Manchmal müssen wir uns es nur sagen lassen, dass wir diese Perspektive einnehmen sollen. „Rede als Prophet“ bedeutet, dass wir uns selbst durch ein Tal voller Knochen nicht beirren lassen sollen. Stattdessen sollen wir selbst denen noch sagen, dass sie leben werden.
Die Wochenaufgabe für Sie lautet so: Reden Sie als Prophetin oder als Prophet des Lebens! Sicherlich kennen Sie eine Person, die gerade „ausgetrocknet“ wirkt. Schenken Sie ihr eine Blume oder eine andere Pflanze! Entgegen der üblichen Gepflogenheit schenken Sie der Person eine Topfpflanze. Auf diese Weise muss sich die beschenkte Person um die Pflanze kümmern und kann ihr beim Wachsen und beim Aufblühen zusehen. Oder Sie verschenken Samen oder Setzlinge? Schenken Sie Leben im Werden! Und tragen Sie sich im Kalender ein, wann sie freundlich nachfragen, wie es der Pflanze wohl geht.
Viel Freude beim Schenken!
Ihr Frank Muchlinsky