Vor gar nicht langer Zeit wäre von vornherein klar gewesen, wie diese Geschichte ausgeht: Ein Mann im Rentenalter bricht sich Arm und Bein und ist auf Unterstützung angewiesen. Weil die Tochter berufstätig ist und kurzfristig keinen Platz im Pflegeheim findet, bittet sie ihre Mutter um Hilfe. Der Vater hat seine Frau vor sieben Jahren wegen einer Jüngeren verlassen. Nun soll sie ihn wieder bei sich aufnehmen und womöglich seinen Avancen nachgeben, die Ehe fortzusetzen, als wäre nichts geschehen? Unmöglich. Oder doch nicht?
Abgesehen von den Knochenbrüchen, die Volker (Henry Hübchen) zumindest vorübergehend zum Pflegefall machen, erinnert die Handlung von "Wir bleiben Freunde" an diverse ganz ähnlich konzipierte Komödien: Der alternde Gatte hat sich noch mal die Hörner abgestoßen und kehrt reumütig zur Ex-Frau zurück; die hat trotz ihrer Verletztheit nie aufgehört, ihn zu lieben, weshalb die beiden ein zweites Mal den Bund fürs restliche Leben schließen. In diese Falle ist Autorin Gabriele Kreis, deren Drehbuch auf einer Idee von Hauptdarstellerin Ulrike Kriener basiert, zum Glück nicht getappt. Das würde vermutlich auch ihren eigenen Überzeugungen widersprechen.
Schon die Heldin ihres 2011 mit dem Robert Geisendörfer Preis ARD-Märchens "Die kluge Bauerntochter" war kein Opfer, sondern eine clevere Strategin. Diese Beschreibung würde der weiblichen Hauptfigur allerdings nicht gerecht: Doro ist zwar nicht gerade begeistert, dass Tochter Katinka (Brigitte Zeh) den Vater in ihre Obhut gibt, aber schließlich gehört er nach wie vor zur Familie. Dass sie ihm Asyl gewährt, ist also in erster Linie ein Akt der Nächstenliebe.
Mit Gärtnereibesitzer Moritz (Marcel Hansema) hat sie zudem längst ein unverhofftes zweites Glück gefunden; der sym- und empathische Holländer ist in vielerlei Hinsicht das Gegenteil des "charmanten Familien-Machos" (Hübchen über Volker). Der Ex breitet sich allerdings derart in Doros Leben aus, dass sich Moritz alsbald an den Rand gedrängt fühlt. Außerdem bleibt ihm nicht verborgen, dass die Eheleute mehr als nur gemeinsame Erinnerungen verbindet; eine Entwicklung, über die auch Doros beste Freundin Sybille (Johanna Gastdorf) schockiert ist.
Aus dieser Konstellation hätte eine zwar unterhaltsame, aber auch rasch wieder vergessene romantische Komödie werden können, zumal der Film mit hellen, freundlichen Bildern und sanftem Licht (Bildgestaltung: Uwe Schäfer) Fernsehen zum Wohlfühlen signalisiert. Zum Glück hat Kreis für einen reizvollen Kontrast gesorgt: Doros Seitenhiebe sind ein Genuss. "Früher hattest Du nicht so viele Haare auf den Zähnen", beschwert sich Volker, als sie ihn wieder mal auflaufen hat. "Früher hatte ich gar keine Zähne", erwidert sie, und das bringt die Sache auf den Punkt: Hintergründig erzählt "Wir bleiben Freunde" eine Emanzipationsgeschichte.
Während Ulrike Kriener garantiert viel Freude an ihren Dialogen hatte, erheitert Henry Hübchen in erster Linie durch diverse Slapstick-Einlagen, weil Volker immer wieder mal vom Sofa kullert oder aus dem Rollstuhl fällt. Das ist zwar theoretisch nicht lustig, aber die Strafe für seine Großkotzigkeit. "Ich bin Sportler", versichert er ein ums andere Mal, um zu verdeutlichen, dass er seine beiden Handicaps – der rechte Arm und das rechte Bein sind komplett eingegipst – als Herausforderungen betrachtet, die ihn aber regelmäßig überfordern, weil er es nicht mal alleine aufs Klo schafft.
Trotzdem macht Regisseur Hansjörg Thurn, der zuletzt fürs ZDF mehrere "Wilsberg"-Episoden und für Sat.1 drei Thriller mit Tim Bergmann als Rechtsmediziner ("Ein Fall für Dr. Abel") gedreht hat, aus dem Mann keine Witzfigur. Hübchen bewahrt seiner Rolle auch in den komischen Momenten noch eine gewisse Restwürde, selbst wenn durch seine Unbeholfenheit allerlei zu Bruch geht.
Tilmann P. Gangloff, Diplom-Journalist und regelmäßiges Mitglied der Jury für den Grimme-Preis, schreibt freiberuflich unter anderem für das Portal evangelisch.de täglich TV-Tipps und setzt sich auch für "epd medien" mit dem Fernsehen auseinander. Auszeichnung: 2023 Bert-Donnepp-Preis - Deutscher Preis für Medienpublizistik (des Vereins der Freunde des Adolf-Grimme-Preises).
Für Volker spricht jedoch nicht nur das Mitgefühl, dass seine missliche Lage weckt. Er mag seine Fehler haben, aber Katinka liebt ihn trotzdem; sie sähe es gern, wenn die Eltern wieder zueinander fänden. Brigitte Zeh spielt das sehr schön, zumal ein kleiner Moment genügt, um das Verhältnis von Vater und Tochter zu illustrieren, als sie ihm beim Besuch zuflüstert, wie sein Enkel heißt. Volker ist empört ("Das weiß ich doch"), aber es ist ihm durchaus zuzutrauen, dass die kleine Gedächtnisstütze nötig war. Enkel und Enkelin werden übrigens von Zehs eigenen Kindern verkörpert, und die beiden machen das richtig gut.
Katinkas Bruder hat einen weniger romantischen Blick auf den Vater: Wenn Volker und Paul (Marius Borghoff) aufeinander treffen, gibt’s umgehend Krach, weil der Sohn nach eigener Einschätzung – "Spätzünder, unsportlich, schwul" – die Erwartungen des Vater nie erfüllen konnte. Aus Sicht von Moritz wird Volker ohnehin zum Antagonisten. Als der Gärtner erfährt, dass das Ex-Paar auf Volkers Wunsch aus steuerlichen Gründen nicht mal geschieden ist – "ein Hintertürchen, durch das er jetzt wieder hereinspaziert" –, sieht er seine Felle endgültig davonschwimmen.
Sehenswert ist "Wir bleiben Freunde" auch wegen der kleinen Drehbuch- und Regie-Einfälle am Rande, etwa das Quietschen der Rollstuhlräder, mit dem sich Volkers Auftritte ankündigen; oder das Gipsbein, das sich anschließend bedrohlich ins Bild schiebt. Originell ist auch die Idee, dass Sybille eine liebevoll ausgestattete Geschenk-Boutique betreibt, in der die Kunden allerdings offenbar nichts anfassen dürfen.