Bibliolog im virtuellen Raum
Vor der Pandemie saßen die Menschen für Bibliologe zusammen – in Gesprächskreisen, in Gottesdiensten, in Schulklassen oder auf Kirchentagen. Das ist gerade nicht möglich. Aber verzichten muss man deshalb trotzdem noch lange nicht: Denn bereits im Frühjahr 2021 hat evangelisch.de zusammen mit der evangelischen Fastenaktion „7 Wochen Ohne“ damit begonnen, Bibliolog-Großveranstaltungen im virtuellen Raum anzubieten. 250 Teilnehmende haben sich während der Passionszeit Woche für Woche für die digitalen Bibliologe via Zoom angemeldet. Unter der Leitung von 30 engagieren Ehrenamtlichen konnten die Teilnehmenden in kleinen Gruppen einen intensiven Austausch über die Bibeltexte der Fastenzeit erleben. Hier erhielten ihre eigenen Stimme Platz und Raum. Es wurde diskutiert, gelacht, philosophiert und sich in die verschiedenen Figuren der Texte hineingesetzt.
An diese Erfahrungen knüpft der Online-Bibliolog zum 3. Ökumenischen Kirchentag von evangelisch.de an. Am Freitag, dem 14. Mai, von 16-17.30 Uhr geht es um den Bibeltext, aus dem das Motto des Kirchentags "Schaut hin!" stammt: Die Speisung der Fünftausend nach Markus 6,30-44. Interessierte müssen sich vorab unter diesem Link anmelden: www.evangelisch.de/bibliolog
Die Teilnahme am Bibliolog ist selbstverständlich kostenlos. Man muss sich auch nicht für den Ökumenischen Kirchentag angemeldet habe, um beim evangelisch.de-Online-Bibliolog dabei sein können. Voraussetzung für eine Teilnahme ist ein internet-fähiges Gerät mit Kamera und Mikrofon, damit sich die Teilnehmenden aktiv am Geschehen beteiligen können. Es muss sich im Vorfeld keine App heruntergeladen werden, die Teilnahme an der Videokonferenz funktioniert auch über die gängigen Browser.
Wie entstand der Bibliolog?
Die Methode wurde vor 25 Jahren von dem jüdischen Literaturwissenschaftler und Therapeuten Peter Pitzele in den USA entworfen. In einer Vertretungsstunde am Jewish Theological Seminary in New York, in der es um Gemeindeleitung ging, hatte Pitzele die Idee, die Teilnehmenden in die Rolle des Mose zu versetzen, der das Volk Israel aus Ägypten geführt hat und nun an das Ufer des Roten Meeres gelangt. "Hinter dir siehst du die Staubwolke der Ägypter, die euch verfolgen, Mose. Vor dir liegt das Meer. Was geht dir durch den Kopf?" Die angehenden Rabbinerinnen und Rabbiner spielten zunächst zögerlich, dann mit wachsender Begeisterung die Rolle Moses. Jede Äußerung wurde von Pitzele gewürdigt und verstärkt, indem er sie in eigenen Worten, aber ebenfalls in der Rolle des Mose, wiederholte.
Als sie später in ihre Gemeinden gingen, baten einige der ehemaligen Studierenden Pitzele, bei ihnen diese Methode, die sie als eine Weiterführung des klassischen Midrasch verstanden, durchzuführen. Gemeinsam mit seiner Frau Susan entwickelte Peter Pitzele die Methode weiter, nannte sie "Bibliodrama", schrieb ein Buch darüber und lehrte sie in den USA. Auf einer internationalen Bibliodrama-Konferenz in Bad Segeberg 1998 erkannten die Theolog*innen Uta Pohl Patalong und Frank Muchlinsky das Potenzial, das in dieser besonderen Form des Bibliodramas lag. Sie organisierten ein Jahr später den ersten Ausbildungskurs in Hamburg.
Die Erfolgsgeschichte des Bibliologs
Weil die Methode der Pitzeles deutliche Unterschiede zum europäischen Bibliodrama aufweist, musste bald ein neuer Name gefunden werden. Unter der Bezeichnung "Bibliolog" konnte sich das "Bibliodrama à la Pitzele" zunächst in Deutschland sehr schnell verbreiten. Weder Konfessions- noch Religionsgrenzen spielten für den Bibliolog je eine Rolle, weil der Zugang zum biblischen Text direkt ist und sich von üblichen Deutungsmustern frei machen kann. Die Freude daran, selbst etwas beitragen zu können, und der Spaß am gemeinsamen Rollenspiel, machten den Bibliolog populär.
Im Jahr 2006 gründete sich das Internationale Netzwerk Bibliolog. Es hat sich zur Aufgabe gemacht, die Methode auch international weiter zu verbreiten und dafür zu sorgen, dass die Standards der Trainer:innen-Ausbildung gewahrt bleiben. Mittlerweile gibt es den Bibliolog in vielen Ländern. Allein in Deutschland sorgen Tausende von Bibliolog-Leitungen dafür, dass die Bibel lebendig wird und dass jede:r etwas zu ihr zu sagen hat.