Drei Fragen an die Migrationsberaterin Katharina Küsgen zur Impfbereitschaft von Zuwanderern
von: epd-Gespräch: Patricia Averesch Hinweis: epd-Gespräch
Gelsenkirchen (epd). Für die Rückkehr in den Alltag ist eine hohe Impfquote bei den Corona-Schutzimpfungen wichtig. Um diese zu erreichen, müssen auch Migranten und Geflüchtete für die Impfungen gewonnen werden. Noch seien viele von ihnen unsicher, ob sie sich impfen lassen sollen, sagt Katharina Küsgen, Fachbereichsleiterin „Flucht und Migration“ des Diakoniewerks Gelsenkirchen und Wattenscheid. Um sich für oder gegen die Impfung entscheiden zu können, fehle es ihnen an niederschwelligen Informationen.
epd: Frau Küsgen, wie hoch ist die Impfbereitschaft unter den Geflüchteten und Migranten, die Sie betreuen?
Katharina Küsgen: Wir nehmen eine gewisse Impfskepsis wahr, die aber bei uns allen zu irgendeinem Zeitpunkt da war, weil die Entwicklung der Impfstoffe für unser Verständnis auch sehr schnell ging. Wie in der Allgemeinbevölkerung sind auch unter den Migranten und Geflüchteten die wildesten Gerüchte im Umlauf: „Der mRNA-Impfstoff verändert die DNA. Oder auch: Wir bekommen einen Mikrochip implantiert.“ Die Informationen, die sie über die Presse und das Fernsehen bekommen, sind auf Deutsch und so komplex, dass sie mitunter auch für Muttersprachler schwer zu verstehen sind. Ich glaube nicht, dass Menschen, die gerade ein B1-Sprachlevel geschafft haben, solche Informationen verarbeiten können. Viele sind deshalb skeptisch, aber die Einschätzung, dass die Impfbereitschaft geringer ist, teile ich nicht.
epd: Die nordrhein-westfälische Integrationsstaatssekretärin Serap Güler (CDU) kritisierte jüngst, dass die Impf-Anschreiben an die Priorisierungsgruppen eine Sprachbarriere darstellen. Welche Erfahrungen haben Sie gemacht?
Küsgen: Auch wir haben die ersten Geflüchteten, die angeschrieben worden sind, weil sie aufgrund ihres Alters oder wegen Vorerkrankungen zu einer Priorisierungsgruppe gehören. Bei ihnen war es so, dass meine Kollegen und ich das Schreiben meist binnen 24 Stunden auf dem Tisch liegen hatten und uns die Männer und Frauen ganz aufgeregt gefragt haben: „Was ist das?“ Ihnen konnten wir dann die Informationen des Robert Koch-Instituts weitergeben und ihre Fragen - soweit wir es können - beantworten. Die Gruppen der Migranten müssen wir davon allerdings nochmal unterscheiden: Geflüchtete und Neuzugewanderte nehmen die Beratungsangebote der freien Wohlfahrt häufig in Anspruch, die Gruppe der länger in Deutschland lebenden Migranten erreichen wir mit unseren Angeboten aber eher selten. Sie werden den Brief wahrscheinlich kurz lesen und wenn sie ihn nicht verstehen, bitten sie ihre Kinder um Hilfe oder werfen ihn weg.
epd: Was sind Möglichkeiten, um gerade die Migrantinnen und Migranten besser zu erreichen?
Küsgen: Wir müssen uns mit ihnen hinsetzen und über die Impfungen sprechen. Sie müssen verstehen, worauf sie sich einlassen. Der Termin im Impfzentrum ist dafür vielleicht nicht der richtige Weg. Es ist dort nicht sichergestellt, dass die Aufklärung in der Muttersprache stattfinden kann. Ich halte es für sinnvoller, mobile Impfteams an vertrauten Orten in Stadtteilen zu stationieren, in denen sie sich sowieso aufhalten. Wenn dann noch ein Dolmetscher anwesend ist, der ihnen alles in ihrer Muttersprache erklärt, ist das noch besser. Wir haben die Erfahrung gemacht, dass viele Migranten nicht ins Impfzentrum gehen wollen, weil sie Angst haben, dass sie das Aufklärungsgespräch nicht verstehen. Sie sind zu beschämt, um zu sagen: „Ich verstehe nicht, was Sie sagen, obwohl ich seit gut 30 oder 40 Jahren in Deutschland lebe.“ Die Ungewissheit, ob ein Arzt in dem anonymen Impfzentrum die Muttersprache spricht, und die Frage, ob man sich ihm offenbaren kann, ohne als doof abgestempelt zu werden, kann sie abschrecken.