Kassel (epd). Die gesetzliche Unfallversicherung und das Bundesarbeitsministerium dürfen sich nach einer Entscheidung des Bundessozialgerichts (BSG) der Anerkennung psychischer Erkrankungen als Berufskrankheit nicht verschließen. Das BSG hat am Donnerstag in Kassel entschieden, in einem Gutachten klären zu lassen, ob bei Rettungssanitätern posttraumatische Belastungsstörungen wie eine Berufskrankheit anzuerkennen sind. Damit kann sich ein Rettungssanitäter, der unter anderem beim Amoklauf an der Albertville Realschule in Winnenden eingesetzt war und an einer posttraumatischen Belastungsstörung erkrankte, Hoffnung darauf machen, dass diese als Berufskrankheit anerkannt wird. (AZ: B 2 U 11/20 R)
Bei dem Rettungssanitäter, der beim Deutschen Roten Kreuz in Esslingen angestellt war, wurde 2016 eine posttraumatische Belastungsstörung festgestellt. Ursache hierfür waren laut einem Klinik-Entlassungsbericht traumatisierende Rettungseinsätze. So wurde er 2009 beim Amoklauf an der Albertville-Realschule in Winnenden eingesetzt, bei dem ein 17-Jähriger neun Schülerinnen und Schüler sowie eine Lehrerin erschossen hatte. Zwei weitere für ihn belastende Einsätze betrafen eine Jugendliche, die sich in Suizidabsicht selbst enthauptet hatte, sowie deren Freundin, die ein Jahr später ebenfalls Suizid beging.
Seitdem ist der Mann arbeitsunfähig, kann sich nur schwer konzentrieren, hat Depressionen und ist oft gereizt. Die festgestellte posttraumatische Belastungsstörung wollte er bei der Unfallversicherung Bund und Bahn wie eine Berufskrankheit anerkennen lassen.
Diese lehnte ab. Es sei nicht belegt, dass eine posttraumatische Belastungsstörung bei Rettungssanitätern im Vergleich zur Allgemeinbevölkerung deutlich häufiger vorkommt.
Doch davon war das BSG nicht überzeugt. Normalerweise prüfe der beim Bundesministerium für Arbeit und Soziales eingerichtete ehrenamtliche Ärztliche Sachverständigenrat, ob eine Erkrankung für bestimmte Personengruppen nach wissenschaftlichen Erkenntnissen als Berufskrankheit anzusehen sei. Sei dies der Fall, nehme das Ministerium diese in die Berufskrankheiten-Verordnung auf.
Bei den vom Sachverständigenrat zu beratenden Themen gebe es aber ein „gewisses Maß an Zufälligkeit“, sagte der Vorsitzende Richter des 2. BSG-Senats, Wolfgang Spellbrink. Inwieweit psychische Erkrankungen überhaupt als Berufskrankheit anerkannt werden können, wurde von dem Gremium noch nie geprüft. Der Unfallversicherungsträger dürfe nicht darauf verweisen, dass es bei einer fehlenden Prüfung und damit fehlenden Erkenntnissen die Berufskrankheit einfach nicht gibt.
Um die Frage zu klären, ob bei Rettungssanitätern eine posttraumatische Belastungsstörung generell gehäuft auftritt, hat das BSG nun das Verfahren vertagt und selbst eine entsprechende Studie veranlasst. Danach wird endgültig entschieden, ob diese psychische Erkrankung bei Rettungssanitätern wie eine Berufskrankheit anzuerkennen ist.