„Wir sind die klassischen Pandemie-Verlierer“, stellt der Chef des Wertstoffzentrum Veitsbronn, Andreas Müßig, fest. Die diakonische Einrichtung betreibt mit rund 400 Mitarbeitern fünf Gebrauchtwareneinrichtungen in Mittelfranken, die derzeit allesamt wegen Corona dicht sind. Größtes Problem: Gut 310 Mitarbeiter sind sogenannte Zielgruppenbeschäftigte. Das sind Menschen, die ohne Hilfe der Arbeitsagentur keinen Zugang zum ersten Arbeitsmarkt finden, unterstreicht Müßig.
Die Tücke für den gemeinnützigen Betrieb: Für diese geförderten Arbeitsplätze ist kein Kurzarbeitergeld vorgesehen. Müßig musste deshalb für 90 Prozent der Beschäftigten seinen Lohnanteil berappen und der summierte sich auf 350.000 Euro. Derzeit wackelt die gesamte Einrichtung. Er könne nur noch schauen, ob für den nächsten Monat genug Geld vorhanden sei, stellt der Leiter fest.
„Die Situation ist dreifach desolat“, konstatiert Müßig. Einerseits wirtschaftlich, andererseits gehe der Kontakt zu den Kunden der Gebrauchtwaren verloren. Das Schlimmste sei aber, dass er seine Zielgruppenbeschäftigten verliere. Darunter sind Ungelernte mit Suchtproblemen, Akademiker, die nach der Scheidung völlig aus der Bahn geraten sind, Obdachlose oder Geflüchtete. Ihnen allen gibt sonst die regelmäßige Arbeit in den diakonischen Wertstoffzentren Halt im Alltag. Allerdings ist ihre Belastbarkeit störanfällig. Positiv sei es manchmal schon, wenn Mitarbeiter mit dem ÖPNV pünktlich zur Arbeit kommen.
Stabilisierender Rhythmus aus dem Gleichgewicht
Corona bringt mit dem Lockdown diesen stabilisierenden Rhythmus aus dem Gleichgewicht. Kurzfristige Öffnungen für ein paar Tage oder Wochen helfen nicht weiter. Müßig schätzt, dass er mindestens drei Monate brauche, bis seine Mannschaft wieder „stabilisiert, aktiviert und erneut qualifiziert ist“.
Die Not mancher Mitarbeiter in Pandemie-Zeiten ist für Müßig greifbar. Weil die Obdachlosenunterkünfte wegen Corona weniger Plätze anbieten können, brachen ein paar Mitarbeiter von ihm im letzten November immer wieder bei ihm ein. Dabei kam nichts weg, es ging nur um einen Schlafplatz für die Nacht. „Das sind die wahren Verlierer der Pandemie“, konstatiert Müßig. Vor diesem Hintergrund findet er die Diskussion um die nächtliche Ausgangssperre ein „Luxusproblem“.
Studenten tüfteln an Hilfskonzept
Zumindest finanziell zeichnet sich eine Unterstützung ab. „Nachdem uns die Politik 2020 vergessen hatte, konnten wir nun das Corona-Überbrückungsgeld III beantragen.“ Was da herauskommt, ist allerdings noch offen. Anfang des Jahres hat das Wertstoffzentrum einen eigenen Onlineshop gestartet, der bringe aber nur 200 bis 300 Euro am Tag - ein Bruchteil von seinen Personalkosten. Gerade hat ein Projekt mit der Fachhochschule Würzburg-Schweinfurt begonnen. Sechs Studierende tüfteln an einem Konzept, um Gebrauchtwaren vom Wertstoffzentrum Veitsbronn im Internet gegen die große und kleine Konkurrenz sichtbarer zu machen.
Bei der Erlanger Fundgrube, die frühere Kleiderkammer der Diakonie Erlangen, liegen die größten Probleme wiederum bei der Kundschaft. Die Fundgrube, ein fünfköpfiges Team - derzeit in Kurzarbeit - mit weiteren 25 Ehrenamtlichen, hilft insbesondere ärmeren Menschen im Problemstadtteil Bruck. Dort sind immer mehr Menschen dazu gezwungen, auf ihr Geld zu achten. Damit anständige Bekleidung kein unerschwinglicher Luxus wird, bietet die Fundgrube Kleidung, Kinder- und Haushaltswaren aus zweiter Hand. Normalerweise kommen pro Tag 40 bis 50 Menschen, berichtet Einrichtungsleiterin Monika Köhler. Doch mit dem Corona-Lockdown ist die Fundgrube praktisch dicht.
Scham über die eigene Armut
Dabei haben gerade junge Familien oder Alleinerziehende auch in Covid-19-Zeiten ein alltägliches Problem: Die Kinder wachsen aus ihren Klamotten raus, die Erwachsenen in Kurzarbeit werden dicker. „Für Leute mit wenig Geld ist das ein Riesenproblem“, sagt Köhler.
Außerdem gibt es auch in Pandemie-Zeiten Menschen, die über die Wohnungslosenhilfe eine Wohnung bekommen. „Die brauchen eigentlich eine Komplettausstattung.“ Doch woher soll die kommen, wenn die Hilfsangebote dicht machen müssen. Immerhin kann sie dem vierjährigen Leon weiterhelfen. Mitarbeiterin Gabi Lehner hat nach einem Hilferuf per Telefon eine große Tasche mit Klamotten gepackt. Die wird dann coronakonform vor der geschlossenen Ladentür übergeben.
Zu allem komme eine „Scham über die eigene Armut“, berichtet Köhler. Daher wäre eine offene Tür wie bei der Fundgrube so wichtig: „Denn hier müssen sich die Menschen nicht schämen.“