Es sind im Wesentlichen zwei Gründe, die den Erfolg der Auslandskrimis donnerstags im "Ersten" ausmachen: Die Filme spielen in Städten oder Landschaften mit besonderem Reiz, der selbstredend auch angemessen zur Geltung kommen soll; und sie erzählen vorzugsweise Geschichten, die sich nicht genauso gut in Hamburg, Berlin oder irgendwo in der deutschen Provinz zutragen könnten. "Bretonische Spezialitäten" ist die dritte Arbeit von Regisseur Bruno Grass für "Kommissar Dupin". Die beiden anderen hatten gewisse Schwächen, aber diesmal hat er den Kern der Reihe perfekt getroffen. Sein erster Versuch, "Bretonische Geheimnisse" (2019), bot zwar ein reizvolles Spiel mit Elementen der Artus-Sage, verplemperte aber zu viel Sendezeit mit Autofahrten. In "Bretonisches Vermächtnis" (2020) wiederum spielten Land und Leute kaum eine Rolle, außerdem war die Krimi-Story früh durchschaubar. Mit der neunten Episode knüpft der Regisseur endlich an die Qualität der Werke von Thomas Roth an, unter dessen Regie "Kommissar Dupin" zu einer der besten Donnerstagskrimireihen der ARD wurde.
Tilmann P. Gangloff, Diplom-Journalist und regelmäßiges Mitglied der Jury für den Grimme-Preis, schreibt freiberuflich unter anderem für das Portal evangelisch.de täglich TV-Tipps und setzt sich auch für "epd medien" mit dem Fernsehen auseinander. Auszeichnung: 2023 Bert-Donnepp-Preis - Deutscher Preis für Medienpublizistik (des Vereins der Freunde des Adolf-Grimme-Preises).
"Bretonische Spezialitäten" ist wie die beiden anderen Filme von Grass nach einem Drehbuch von Eckhard Vollmar entstanden, das wiederum wie die gesamte Reihe auf einem gleichnamigen Roman von Jean-Luc Bannelec (Kiepenheuer & Witsch) basiert: Dupin (Pasquale Aleardi) fährt extra nach Saint-Malo, um seine Verlobte zum Jahrestag mit einer kulinarischen Köstlichkeit zu überraschen. Als er Restaurantbesitzerin Blanche Trouin (Franziska Junge) in die Markthalle begleitet, wird sie vor seinen Augen niedergestochen. Die Täterin rennt davon, was zu einer flott inszenierten Verfolgungsjagd führt. Es ist allerdings vor allem der Schauplatz, der den optischen Reiz ausmacht: Die Frau flüchtet auf die Befestigungsanlagen der Stadt. Die Jagd endet in einer Sackgasse, der Kommissar nimmt sie fest. Damit ist der Fall im Grunde erledigt, aber Dupin wäre nicht Dupin, wenn er den Dingen nicht auf den Grunde gehen würde: Die Mörderin entpuppt sich als eisern schweigende Schwester des Opfers, Lucille (Nadja Becker). Sie war fünf Jahre fort und ist vor wenigen Wochen in den berühmten Küstenort zurückgekehrt. Kurz vor der tödlichen Begegnung hat sie Blanche eine SMS geschrieben: "Er gehört mir! Ich hol ihn mir zurück!" Natürlich vermutet Dupin, dass sich die Nachricht auf einen Mann bezieht, und tatsächlich war Lucille einst mit ihrem heutigen Schwager Kilian (Max Koch) liiert. Ein Besuch beim alten Trouin (Peter Franke) bringt etwas Klarheit in die familiären Verhältnisse: Lucille war Vaters Augenstern, aber stolz war er vor allem auf die erfolgreiche Blanche, die ihre jüngere Schwester stets für den Tod der Mutter verantwortlich gemacht hat. Als auch Kilian ermordet wird, ist klar, dass dieser Fall noch längst nicht abgeschlossen ist.
Wie schon in "Bretonische Geheimnisse" liegt der Reiz der Geschichte in der Historie: Ein Vorfahr der Trouins war ein bei der britischen Handelsmarine gefürchteter, von seinen Landsleuten jedoch verehrter Freibeuter, und als Dupin klar wird, dass "Augenstern" auch eine ganz andere Bedeutung haben kann, kommt er der Lösung einen großen Schritt näher. Weil die wilde Smaragdküste auch inhaltlich eine Rolle spielt, sind die vielen Kameraflüge vertretbar, zumal die Luftaufnahmen vom Meer wie auch von Saint-Malo außerordentlich eindrucksvoll sind (Kamera: Tobias Schmidt). Welchen Stellenwert die Produktionsfirma filmpool fiction und ihr "Kommissar Dupin" mittlerweile in Frankreich genießt, zeigt unter anderem die Tatsache, dass eigens für die Dreharbeiten ganze Teile der Altstadt abgeriegelt wurden. Die Reihe läuft auf France 3 mit großem Erfolg; Pasquale Aleardi wird mittlerweile nicht nur von den deutschen Dupin-Touristen, sondern auch von den Einheimischen freudig begrüßt. Ohne Corona hätte "Bretonische Spezialitäten" garantiert dafür gesorgt, dass im Sommer auch Saint-Malo in den Genuss entsprechender Busreisen gekommen wäre.
Neben der vorzüglichen und wegen der häufigen Schauplatzwechsel sehr aufwändig wirkenden Bildgestaltung sowie der an den richtigen Stellen angemessen flotten Schnittfrequenz beeindruckt "Bretonische Spezialitäten" wieder durch die ausgezeichnete Musik (Fabian Römer, Steffen Kaltschmid) und die gute Arbeit mit dem Ensemble. Sehr präsent ist zum Beispiel Bettina Burchard als einheimische Polizistin, die sichtlich Freude daran hat, dass in Saint-Malo endlich was Aufregendes passiert. Eher unnötig sind dagegen die Comedy-Zwischenspiele aus dem heimischen Revier in Concarneau, wo sich Dupins Mitarbeiter Kadeg die Zähne an Sekretärin Nolwenn ausbeißt. Weil Annika Blendl terminliche Probleme hatte, wird diese Rolle nun von Franziska Wulf gespielt; viel zu tun hat sie bei ihrer Premiere allerdings nicht. Für Jan Georg Schütte gilt das zunächst zwar ebenfalls, aber nach dem zweiten Mord braucht Dupin Unterstützung in Saint-Malo. Angesichts der handlungsreichen Geschichte ist anders als in einigen früheren Filmen diesmal auch die abschließende Zusammenfassung durch die beiden Polizisten nicht überflüssig.