Ausgerechnet in dieser Tatsache liegt, wenn überhaupt, die einzige Schwäche von "Krieg und Holocaust": Die Dokumentationsreihe wird zehn Jahre lang in der ZDF-Mediathek zur Verfügung stehen und ist entsprechend zeitlos konzipiert. Davon abgesehen beeindruckt das Projekt schon allein durch seinen Umfang: In zehn Teilen à 45 Minuten erzählt ein sechsköpfiges Autoren-Team mit Hilfe von 40 internationalen Historikern die Geschichte des Nationalsozialismus.
Bemerkenswert ist dabei vor allem der Umstand, dass der erste Film nicht etwa 1933 oder in den spätern 20-ern beginnt, sondern mit dem Ersten Weltkrieg: Weil die Umstände der Kapitulation und vor allem der 1919 unterzeichnete Vertrag von Versailles, der von vielen nicht als Dokument der Versöhnung, sondern als Bestrafung empfunden wurde, die Basis für den deutschen Faschismus legte. Die entsprechende Verbitterung in der Bevölkerung war die Voraussetzung für den Aufstieg Adolf Hitlers. Er befeuerte den deutschen Opfermythos; Halbwahrheiten und offenkundige Lügen wie die sogenannte Dolchstoßlegende, mit deren Hilfe die besiegten Generäle ihre Niederlage auf die Sozialdemokraten und das von den Faschisten fortan konsequent zum Feindbild aufgebaute "bolschewistische Judentum" abwälzten, taten ein Übriges. Detailliert zeigen die ersten Folgen, wie sich die Nationalsozialisten der ohnehin vorhandenen Ressentiments bedienten, um den Judenhass zu schüren.
Die Weimarer Republik litt also von Anfang an unter gleich mehreren Geburtsfehlern, weshalb die 20er-Jahre des vergangenen Jahrhunderts auch nicht mit der Gegenwart zu vergleichen sind. Diese Brücke schlägt die Reihe allerdings gar nicht erst. Deshalb gehen die Autor:innen auch nicht der Frage nach, ob sich die Geschichte wiederholen kann, sondern konzentrieren sich einzig und allein auf den Nationalsozialismus; dies allerdings in einer Form und einem Umfang, die ihresgleichen suchen.
Die Filme verzichten zwar auf Zeitzeugen, befassen sich aber dennoch immer wieder mit Einzelschicksalen. Spielfilmreif ist zum Beispiel ein Husarenstück des jüdischen Journalisten Leo Lania, der sich 1923 unter die Münchener Faschisten mischte und die Vorbereitungen für einen bewaffneten Putschversuch enthüllte. Geschichten wie diese stützen sich auf Briefe, Tagebücher oder Amateurfilme, die in über hundert Archiven zutage gefördert worden und zum Teil noch nie gezeigt worden sind.
Neben den Aussagen der Historiker:innen bestehen die zehn Episoden daher weitgehend aus Originalaufnahmen, die den vom Schauspieler Philipp Moog sehr angenehm gesprochenen Kommentar illustrieren; ansonsten sorgen allein anschaulich gemachte Grafiken für Unterbrechungen des Erzählflusses. Geredet wird in der Tat sehr viel, im Grunde ununterbrochen; trotzdem sind die einzelnen Folgen nicht überfrachtet. Die Ausstrahlung im Spartenprogramm ZDFinfo zum Jahrestag Tag der Kapitulation der Wehrmacht wird dem Mainzer Sender keine große Quote bescheren, aber für den Einsatz als Bildungsprogramm ist "Krieg und Holocaust" bestens geeignet.
Tilmann P. Gangloff, Diplom-Journalist und regelmäßiges Mitglied der Jury für den Grimme-Preis, schreibt freiberuflich unter anderem für das Portal evangelisch.de täglich TV-Tipps und setzt sich auch für "epd medien" mit dem Fernsehen auseinander. Auszeichnung: 2023 Bert-Donnepp-Preis - Deutscher Preis für Medienpublizistik (des Vereins der Freunde des Adolf-Grimme-Preises).
Dazu passen auch die Aktivitäten des ZDF in den sozialen Netzwerken: Die Ausstrahlung wird unter anderem von dem Instagram-Projekt "Nur zwölf Jahre?" flankiert. Hier geht es um naheliegende Fragen einer jungen Zuschauerschaft, die die Reihe nicht beantworten kann und will: Was hat der Holocaust noch mit mir zu tun? Weshalb muss jede Generation die Zeit zwischen 1933 und 1945 neu begreifen? Welche Freiheiten können wir genießen, die es früher nicht gab? Warum sind Demonstrationen von Faschisten heute nicht verboten, wenn die Bundesrepublik doch einen Gegenentwurf zum Nationalsozialismus darstellt?
Das ZDF stellt "Krieg und Holocaust" ausdrücklich unter das Motto "Gegen das Vergessen": Angesichts des auch derzeit wieder bröckelnden Vertrauens in demokratische Institutionen führt die Reihe nachdrücklich vor Augen, wo so etwas enden kann; auch der Holocaust hat in kleinen Schritten begonnen. Außerdem trägt die Reihe erheblich dazu bei, dass die Deutungshoheit über den Nationalsozialismus nicht den Rechtsextremisten überlassen wird. Das ZDF stellt die Reihe ab heute für zehn Jahre in seine Mediathek. In ZDFinfo ist sie am 8. Mai ab 18.45 Uhr zu sehen.