Berlin (epd). Die Bundesländer akzeptieren die bundesweite "Corona-Notbremse". Der Bundesrat ließ am Donnerstag bei einer Sondersitzung in Berlin die Änderung des Infektionsschutzgesetzes passieren. Sie gibt dem Bund mehr Befugnisse bei der Bekämpfung der Pandemie, die bisher allein den Ländern und Kommunen vorbehalten waren. Auch wenn die Länder keinen Einspruch erheben, üben einzelne dennoch deutliche Kritik an dem Gesetz. Nach der FDP planen auch die Freien Wähler eine Verfassungsbeschwerde gegen die Regelung.
Die "Notbremse" soll dafür sorgen, dass in jedem Landkreis bundesweit die gleichen Regeln gelten, wenn dort die Zahl der Neuansteckungen pro 100.000 Einwohner den Wert von 100 an drei aufeinanderfolgenden Werktagen übersteigt. Dazu zählen unter anderem Kontaktbeschränkungen, Schließungen von Geschäften und Freizeiteinrichtungen sowie eine nächtliche Ausgangssperre. Sie gilt zwischen 22 und 5 Uhr. Eine Ausnahme gibt es bis Mitternacht für Einzelpersonen, die zum Joggen oder Spazieren ins Freie gehen.
Schulen müssen dem Gesetz zufolge ab einer Sieben-Tage-Inzidenz von 165 den Präsenzbetrieb einstellen. Die Regelungen gelten, wenn die Inzidenz den kritischen Wert an drei aufeinanderfolgenden Tagen übersteigt. Sie sind gleichzeitig bis Ende Juni befristet. Der Bundestag hatte das Gesetz am Mittwoch beschlossen. Angesichts der derzeit hohen Infektionszahlen wurde das Gesetzgebungsverfahren in weniger als zwei Wochen abgeschlossen. Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier muss die Änderung des Infektionsschutzgesetzes noch ausfertigen, bevor es in Kraft treten kann.
Das Robert Koch-Institut (RKI) meldete am Donnerstag fast 30.000 (29.518) nachgewiesene Neuinfektionen binnen 24 Stunden. Die bundesweite Inzidenz lag bei 161,1. Die höchsten Inzidenzwerte gibt es derzeit in Thüringen, Sachsen, Baden-Württemberg und Bayern. Nur in Schleswig-Holstein liegt die landesweite Inzidenz laut RKI unter dem Wert 100 (70,9).
Hessens Ministerpräsident Volker Bouffier (CDU) sagte, es sei richtig, jetzt zu handeln, um die Zahl der Infektionen zu senken. Dennoch habe er Bedenken gegen die konkrete Regelung, sagte er und verwies auf rechtliche und praktische Bedenken, die auch die Frage der Akzeptanz der Regelungen in der Bevölkerung berühre. "Man braucht die Bürger als Partner", sagte Bouffier. Gleichzeitig nannte er den Vorwurf, die Länder würden "entmachtet", "Blödsinn".
"Für den Infektionsschutz ist das kein großer Wurf", sagte Niedersachsens Regierungschef Stephan Weil (SPD). Das könnte am ehesten noch die nächtliche Ausgangsbeschränkung für sich in Anspruch nehmen. Dagegen gebe es aber verfassungsrechtliche Bedenken, sagte Weil, der nach eigenen Worten damit rechnet, dass das Gesetz vor dem Bundesverfassungsgericht landet.
Nach der FDP, die bereits eine Verfassungsbeschwerde gegen die umstrittene Ausgangssperre vorbereitet, haben am Donnerstag auch die Freien Wähler eine Klage gegen die Ausgangssperre angekündigt. Der Bundesvorsitzende Hubert Aiwanger, der auch stellvertretender bayerischer Ministerpräsident ist, sagte, es gehe darum, die Freiheitsrechte der Bürger zu verteidigen.
Ausgangssperren könnten im Einzelfall durchaus erlassen werden, sie dürften aber nicht automatisch per Bundesgesetz kommen, ohne dass regionale Besonderheiten berücksichtigt würden, sagte Aiwanger. Er sprach von einem "verfassungsrechtlich großen Fehler". Die "Corona-Notbremse" sei zu radikal und zu pauschal.
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