Die Ältesten unter euch ermahne ich, der Mitälteste und Zeuge der Leiden Christi, der ich auch teilhabe an der Herrlichkeit, die offenbart werden soll: Weidet die Herde Gottes, die euch anbefohlen ist, und achtet auf sie, nicht gezwungen, sondern freiwillig, wie es Gott gefällt, nicht um schändlichen Gewinns willen, sondern von Herzensgrund, nicht als solche, die über die Gemeinden herrschen, sondern als Vorbilder der Herde. So werdet ihr, wenn erscheinen wird der Erzhirte, die unverwelkliche Krone der Herrlichkeit empfangen.
1. Petrus 5,1–4 (hier vorgelesen von Helge Heynold)
Liebe Alte, Junge und alle dazwischen,
wie gern lassen Sie sich leiten? Wie geht es Ihnen damit, wenn Sie geführt werden? Gibt es Ihnen Sicherheit, wenn jemand Ihnen sagt, wo es hingeht? Oder wollen Sie grundsätzlich selbstbestimmt sein in allen Entscheidungen? Möchten Sie generell selbst wissen, was gut für Sie ist, oder genießen Sie es, nicht alles selbst entscheiden zu müssen?
Die öffentliche Diskussion über das richtige Vorgehen in der Pandemie kreist auch immer wieder um diese Frage: Wie viele Vorschriften braucht es, und wie streng muss auf ihre Durchsetzung geachtet werden? Wie viel Selbstbestimmung kann den Einzelnen zugetraut werden, wie verantwortlich gehen die Einzelnen mit ihrer Freiheit um? Auf diese Fragen kann es keine eindeutige Antwort geben. Zu verschieden sind wir Menschen, zu unterschiedlich sind unsere Bedürfnisse und Notwendigkeiten. Ich habe darum bei allem Verdruss auch Verständnis dafür, dass unser Land so wankelmütig ist, wenn es darum geht, Freiheiten zu gewähren oder zu beschränken.
Leitung und Anleitung sind wichtig im Zusammenleben. Das ist und war auch in der Kirche nicht anders. Einer der großen Anleiter war von Anbeginn Simon, genannt Petrus. Die Evangelien erzählen, dass bereits Jesus ihn zum Oberhirten einsetzte, und es gibt zwei Briefe, die ihm zugeschrieben werden. Der Text für diese Woche stammt aus dem ersten dieser Briefe und beschreibt, wie sich Petrus Führung vorstellt. Diejenigen, die am ältesten sind, die also noch zum Kreis der ersten „Zeugen“ gehören, haben die Leitung der Gemeinde inne. Das scheint nicht unhinterfragt zu gelten. Petrus nutzt das bekannte Bild vom Hirten und der Herde, um deutlich zu machen, worauf es ankommt: Nicht gezwungen soll man sich um die Herde kümmern, sondern freiwillig. Die Hirten sollen nicht um des Profites willen auf die Herde achten, sondern weil ihr Herz es ihnen sagt. Und schließlich: Es geht nicht ums Herrschen, sondern darum, Vorbilder zu sein.
Das ist ein kluger Gedanke, wenn es um das Führen und Leiten geht. Wer anstatt Macht auszuüben und zu herrschen ein gutes Vorbild abgibt, kann darauf hoffen, dass andere dem Beispiel folgen. Wer auf diese Weise leitet, fragt nicht in erster Linie danach, wie viel Freiheit gewährt werden muss und wie viel Beschränkungen nötig sind. Außerdem ist das Leiten als Vorbild sozusagen die natürliche Art, in der Menschen einander anleiten. Jeder Mensch lernt immer und jeder Mensch lernt an Vorbildern. Was uns einleuchtet, das machen wir nach. Das müssen nicht immer gute Dinge sein, sie müssen lediglich irgendwie erstrebenswert erscheinen. Wenn die „Ältesten“ also auch die Jüngeren anleiten möchten, sollten sie ihr eigenes Tun möglichst so gestalten, dass die sagen können: So will ich auch mal sein.
Natürlich braucht es trotzdem auch Regeln, an die man sich halten muss, doch der Umgang mit diesen Regeln will eben auch gelernt sein. Es lernt sich aber am besten, wenn diejenigen, die für diese Regeln stehen, sie selbst in einer Weise befolgen, die ungezwungen daherkommt. Schimpfen und Schelten erzeugen grundsätzlich Widerstand. Da spielt es keine Rolle, die vernünftig und zielführend die Motive sind. Druck erzeugt Gegendruck. Das ist sicherlich auch ein Grund dafür, dass der „Erzhirte“ (was für ein merkwürdiger und gleichzeitig schöner Ausdruck!) Jesus Christus einerseits mahnte und andererseits und ein für alle Mal vergab. Ich wünsche mir oft, unsere Kirche hätte sich diese Worte aus dem ersten Petrusbrief mehr zu Herzen genommen, aber der nächste Satz lautet ja bereits „Desgleichen ihr Jüngeren, ordnet euch den Ältesten unter“, und das ist für die Älteren ja viel einfacher zu lesen.
Meine Wochenaufgabe können Sie sicherlich bereits erahnen. Fragen Sie sich, in welcher Hinsicht Sie gern ein Vorbild sein möchten! Was tun Sie, was können Sie, das für andere Menschen erstrebenswert sein sollte? Fragen Sie sich dabei auch, ob Sie das freiwillig tun und „von Herzensgrund“, also ob Sie fröhlich dabei sein können. Diese Aufgabe ist anspruchsvoll, weil sie einen ehrlichen Blick auf Sie selbst verlangt und dazu einen Blick, der sich auf Ihre Vorzüge richtet. Das ist vielleicht ungewohnt. Tun Sie es trotzdem! Finden Sie das, was andere Menschen Ihnen abgucken sollten. Und dann – selbstverständlich – machen Sie es ihnen vor. Zeigen Sie bewusst mehr von dem, was man von Ihnen lernen kann, weil es gut ist!
Ich wünsche Ihnen eine vorbildliche Woche!
Ihr Frank Muchlinsky