Ein Bild malen, eine Skulptur schaffen - das ist für Markus Lüpertz auch nach Jahrzehnten immer noch ein aufregender Prozess. Denn jedes Mal versuche er, dem Vergleich mit den größten Künstlern der Geschichte standzuhalten, sagt er dem epd in Düsseldorf kurz vor seinem 80. Geburtstag. "Es gibt nichts Einsameres, als vor dieser weißen Leinwand zu stehen und sich mit 2.000 Jahren Kultur und Malerkultur zu konfrontieren." Ob es die Ninas des spanischen Malers Diego Velazquez seien oder das großformatige Ölgemälde "Guernica" von Pablo Picasso - "man hat ja Giganten vor sich".
Lüpertz geht als Maler seinen eigenen Weg und verbindet gegenständliche Malerei mit Abstraktion. Das zeichnet auch die Kirchenfenster aus, die er etwa für Sankt Andreas in Köln oder Sankt Franziskus in Mönchengladbach gemacht hat. Oder zuletzt seinen Entwurf eines "Reformationsfensters" für die Marktkirche in Hannover, den der frühere Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) anregte, einer seiner engsten Freunde. Die Gerichte entscheiden gerade, ob dieses umstrittene Werk eingebaut werden darf. Umstritten sind auch seine Skulpturen, vor allem die der Musiker Ludwig van Beethoven in Bonn und Wolfgang Amadeus Mozart in Salzburg.
Das Publikum fühlt sich oft provoziert. Seine 2005 in Salzburg aufgestellte einarmige Mozart-Skulptur sorgte mit ihren weiblichen Kurven, den weit aufgerissenen Augen und dem weißen Gesicht für Empörung. Schon zwei Monate nach der Aufstellung wurde die Statue beschädigt. Auch Lüpertz' 2,70 Meter hohe Beethoven-Skulptur, ein leidender Koloss ohne Arme und mit nur einem Bein, erregte 2014 in Bonn Anstoß.
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Auch sein eigenes Erscheinungsbild - er gibt sich als Malerfürst mit schweren Ringen an jedem Finger, eigens für ihn angefertigten Anzügen und Stock mit Silberknauf - wird von manchen belächelt. "Der darf das. Er ist ein echter Gentleman," sagt dagegen sein Freund Schröder.
In die Wiege gelegt ist Lüpertz der Aufstieg zu einem der wichtigen deutschen Maler der Nachkriegszeit und Direktor der Düsseldorfer Kunstakademie (1988 bis 2009) nicht. In Liberec in der Tschechoslowakei wird Markus Lüpertz am 25. April 1941 geboren. 1948 zieht er mit der Familie ins Rheinland, nach Rheydt bei Mönchengladbach. Als seine Eltern sich das Gymnasium für ihn nicht mehr leisten können, geht er eigene Wege, geleitet von dem Wunsch, Maler zu werden. Das Arbeitsamt schickt ihn zunächst zu einem Anstreicher in die Lehre, dann zu einem Gestalter von Flaschenetiketten. Beides misslingt.
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Geld verdient er eine Zeit lang unter Tage. "Ich hatte eine romantische Vorstellung von der Arbeit im Bergwerk", sagt Lüpertz. Nach einem Jahr zieht er aber weiter, nach Südfrankreich zur Fremdenlegion. Als aber ein Einsatz im Algerienkrieg droht, kann er sich aus dem Staub machen. Zurück in Deutschland beginnt er dann auf der Werkkunstschule in Krefeld mit dem Kunststudium.
Ein Glasmaler bringt ihn in die Benediktinerabtei nach Maria Laach. Da entdeckt Lüpertz die Welt der Bücher, in die er sich Zeit seines Lebens versenken wird. "Er ist hochgebildet, und es macht Spaß, mit ihm nicht nur über Kunst, sondern auch über Gesellschaftspolitik und vor allem Geschichte zu reden", sagt Gerhard Schröder. Die Herkunft aus einfachen Verhältnissen und ein Aufstieg aus eigener Kraft verbindet beide. "Ich hätte es aber nie geschafft, mich aus diesem Hintergrund der Kunst zuzuwenden", sagt Schröder. Er habe Freunde gebraucht, nicht zuletzt Lüpertz, die ihn lehrten "Kunst von Kitsch" zu unterscheiden.
Markus Lüpertz' Laufbahn führt, wenn auch mit Umwegen, nach oben: "Mit 15 verließ ich mein Elternhaus, flog von allen Schulen, selbst meiner geliebten Düsseldorfer Kunstakademie, und mit 30 war ich Professor!" Er bildet seinen Stil, malt große Formate, stark in den Farben, immer rhythmisch und, anders als die meisten Künstlerinnen und Künstler der Nachkriegszeit, nicht abstrakt.
Der Kunsthistoriker Armin Zweite, der Museen wie das Lenbachhaus in München und die Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen leitete, schätzt diesen eigenen Stil, der das Figurative mit dem Abstrakten verbindet. "Es zeichnet Markus Lüpertz aus, dass er die Geschichte der Malerei sehr genau reflektiert, sie weiter entwickelt, mal persifliert, mal zerstört oder sie neu formuliert", sagt Zweite. Obgleich Lüpertz Gegenstände malt, sieht er sich selbst als abstrakten Künstler. Lüpertz verbinde Abstraktion und Realismus, erklärt Walter Smerling, Direktor des Museum Küppersmühle für Moderne Kunst in Duisburg, der den Künstler als Kurator kennt und 2007 einen Film über ihn gedreht hat. "Er ist besessen von der Abstraktion und schafft immer wieder die Gegenüberstellung von Objekt und Form", so beschreibt Smerling Lüpertz darin.
Wucht seiner Bilder
Für die Beschäftigung mit Krieg und Nationalsozialismus sucht er auch seinen eigenen Ausdruck, setzt dabei aber vor allem auf die Wirkung, manchmal Wucht der Bilder. Ein 14 Meter langes Bild heißt "Westwall" und macht aus den Panzersperren ästhetische Gebilde. Auch Soldatenhelme malt er wie Objekte. Lüpertz, der auch Gedichte schreibt, sieht es als Aufgabe des Künstlers an, den Protest gegen die Unmenschlichkeit so zu gestalten, dass auch spätere Generationen davon berührt werden. "Er muss seine gebrochenen Flügel, seinen Hass auf diese Hölle, verbinden mit der Verpflichtung auf Ewigkeit," schreibt Lüpertz.
Seine größte Statue hat er für Gelsenkirchen geschaffen, einen 18 Meter hohen Herkules. Mit Gestalten der Antike beschäftigt sich Lüpertz immer wieder, weil die Kunst vorchristlicher Zeit "unseren Sinn für Schönheit" entwickelt habe. Zudem habe sich ein Gespür für Verletzlichkeit entwickelt angesichts der nur unvollständig erhaltenen Skulpturen, "die wir nur als Torso" kennen. Auch daran erinnert Lüpertz' Beethoven-Statue im Hofgarten in Bonn. Ihr fehlen die Arme, ein Bein ist amputiert. Zu ihren Füßen liegt ein Kopf, der an den Komponisten Beethoven erinnert, der seine eigene Musik im späteren Lebensverlauf nicht mehr hören konnte. Lüpertz ist überzeugt: "Das Genie muss über seine Gebrechen siegen."
Auftritte von Markus Lüpertz sorgen stets für Aufsehen und und bringen ihm den Titel "Malerfürst" ein, den er aber selbst ablehnt. Er verstehe die Aufregung nicht, sagte er in einem Interview zu seiner letzten großen Museumsausstellung im Münchner Haus der Kunst Ende 2019: "Ich bin einfach ein gut gekleideter älterer Herr." Dabei wird ihm ein ausgeprägter Hang zur Selbstdarstellung nachgesagt. In Interviews sprach er mehr als einmal von seiner eigenen Genialität. Die Malerei betrachtet er als elitäre "Königsdisziplin", sagte er anlässlich der Ausstellung 2019. Sie stehe zwar heute im Schatten neuer Medien, was einem allgemeinen Mangel an Bildung geschuldet sei. Letztlich seien die Malerei und damit die Künstler aber auch heute das, was sie immer gewesen seien, nämlich Ausnahmeerscheinungen. "Und die Maler sind dann eben Elite."
Bezug zum Glauben hat auch eines der jüngsten Projekte des zum Katholizismus konvertierten Künstlers und Vaters von fünf Kindern: Für die Karlsruher U-Bahn entwarf Lüpertz 14 großformatige Keramikreliefs, die die Schöpfungsgeschichte zeigen. Unter dem Titel: "Genesis - Sieben Tage des Herrn" sollen sie unterirdische U-Bahn-Stationen in Kunst-Kathedralen verwandeln.
Er selbst arbeitet in einem seiner vier Ateliers in Düsseldorf, bei Berlin, in der Toskana und in Karlsruhe, seinem Hauptwohnsitz, auch mit 80 Jahren noch weiter. Jedes Bild trage schon das nächste in sich, jede Skulptur fordere eine neue, eine bessere, sagt der Künstler. Ob seine Werke wirklich gut seien, "das wird die Kunstgeschichte erst in 200 Jahren erkennen".