Berlin (epd). Der Kulturwissenschaftler Thomas Schmidt hat Reformen an deutschen Theatern angemahnt. Insbesondere die Führungsstrukturen müssten neu aufgestellt werden und mehr Partizipation bieten, um Machtmissbrauch zu vermeiden, sagte er dem Berliner "Tagesspiegel" (Dienstag). In einer 2019 von Schmidt erstellten Studie hatten von 2.000 befragten Theatermitarbeiterinnen und -mitarbeitern 55 Prozent von Missbrauchserfahrungen berichtet, mehrheitlich durch Intendanten und Regisseure.
Machtmissbrauch beginne "mit Mobbing, reicht bis zum Ausschluss, Blaming und Shaming - und geht über in einen stark körperlichen, schließlich in den sexuellen Missbrauch", sagte der frühere Geschäftsführer und Intendant des Deutschen Nationaltheaters in Weimar, der heute Professor für Theatermanagement in Frankfurt am Main ist. Von einem institutionellen Missbrauch sei zudem zu sprechen, "wenn Intendanten etwa einer Künstlerin verbieten, sich an die Gewerkschaft oder den Betriebsrat zu wenden".
In der Wirtschaft würden bei Auswahlprozessen für Führungskräfte die psychologischen Profile der Kandidaten geprüft, "auf Aspekte wie Führungsfähigkeit, Empathie, Fähigkeit zu Moderation und Ausgleich", sagte Schmidt. An Theatern sei dagegen noch immer ein Führungsmodell verbreitet, das stark mit autokratischen und patriarchalen Elementen arbeite.
Die jüngsten Skandale über Machtmissbrauch schwächten die Theater gegenüber der Politik, erklärte der Kulturwissenschaftler. Zugleich "gilt Deutschland immer noch als eine der spannendsten, dichtesten Theaterlandschaften in Europa. Es wäre schade, wenn wir das verspielen würden", sagte Schmidt.