Köln/Essen (epd). Die Bundesarbeitsgemeinschaft der Jugendämter rechnet mit einem deutlichen Anstieg der Schulabbrecher-Zahl infolge der Corona-Krise. Die Pandemie werfe die Kinder- und Jugendarbeit um mindestens fünf Jahre zurück, sagte der Vorsitzende Lorenz Bahr den Zeitungen der Essener Funke Mediengruppe (Samstag). "Mit Blick auf die beiden Abschlussjahrgänge droht sich die Zahl der Schulabbrecher zu verdoppeln", warnte er. Anstatt der zuletzt 104.000 Schulabbrecher rechnen die Landesjugendämter mit "210.000 Schulabbrecher in 2020 und genau so vielen noch einmal in diesem Jahr", sagte Bahr. Diese Entwicklung werde sich durch viele Schichten ziehen, auch Kinder aus der Mittelschicht würden einen "früheren Karriereknick" erleben.
Die Bundesarbeitsgemeinschaft fordert von Bund, Ländern und Kommunen einen sogenannten Post-Corona-Kinder-und-Jugendhilfefonds für den Zeitraum von 2022 bis 2027, um den zu erwartenden höheren Bedarf an Hilfsangeboten und Präventionsarbeit zu finanzieren. So ergab eine Studie im Auftrag der Bundesarbeitsgemeinschaft, dass sich der jährliche Mehrbedarf auf etwa zehn Prozent der regulären Aufwendungen für Kinder- und Jugendhilfe in Höhe von rund 56 Milliarden Euro belaufen könne. Dabei seien die Mehrkosten noch konservativ geschätzt, sagte Bahr.
Neben dem Ausbau von Hilfsangeboten sollten mit dem Fonds auch bestehende Angebote attraktiver gemacht werden, etwa die Vergütung des Freiwilligen Sozialen oder Ökologischen Jahres (FSJ/FÖJ). Bisher würden solche Angebote fast ausschließlich von Abiturientinnen und Abiturienten genutzt, so Bahr. "Wir müssen aber gerade auch Jugendliche mit anderen Bildungsabschlüssen oder ohne Schulabschluss erreichen, um ihnen eine Perspektive aufzeigen zu können."
Der Studie zufolge machen sich in den Jugendämtern die negativen Folgen der Pandemie bereits bemerkbar. Bei einer bundesweiten Umfrage unter Mitarbeitern gaben 84 Prozent an, dass sie über alle Lebensbereiche hinweg negative Auswirkungen der Corona-Pandemie auf das Leben von Kindern und Jugendlichen feststellen.
Seit Beginn der Krise haben die Jugendämter demnach Schwierigkeiten, den Kontakt mit einzelnen Gruppen zu halten. Besonders betroffen seien Jugendliche im Alter von 14 bis 18 Jahren, Familien, die sich in prekären Lebenslagen befinden sowie Kinder, deren Eltern psychisch erkrankt sind oder unter Suchtproblemen leiden. An der Umfrage der Bundesarbeitsgemeinschaft in Kooperation mit dem Institut für Sozialpädagogische Forschung Mainz nahmen den Angaben zufolge 298 der 559 Jugendämter in Deutschland teil; es wurden 1.750 Beschäftigte interviewt.