"Heute stirbt hier Kainer" klingt nach einer typischen Clint-Eastwood-Story: Ein Fremder kommt in ein Dorf, gerät in einen Konflikt zwischen zwei Rivalen, muss sich mit dem korrupten Sheriff auseinandersetzen und sieht sich beim Showdown einer schwerbewaffneten Übermacht gegenüber; eine attraktive Frau, die ihr Herz an ihn verliert, gibt es natürlich auch.
Handlungsentwürfe dieser Art können leicht in eine Parodie ausarten, aber Proehl und Westholzer nehmen die Geschichte und vor allem die Figuren ernst. Trotzdem hat der Film eine heitere Note, weil sämtliche Konflikte, die sich nach der Ankunft des Fremden ergeben, auf einem Missverständnis beruhen.
Ulrich Kainer (Martin Wuttke) ist ein Mann mit Vergangenheit, aber ohne Zukunft. Als Reisender ohne Gepäck sucht er einen Ort, an dem er in Würde und selbstbestimmt sterben kann. Er kauft sich eine Pistole, landet irgendwo in der hessischen Provinz (gedreht wurde im Odenwald), kommt auf dem Hof der alleinstehenden Bäuerin Marie (Britta Hammelstein) unter und wartet nun auf den richtigen Zeitpunkt, um sich das Leben zu nehmen.
Die Einheimischen glauben jedoch, er sei ein Killer, engagiert vom italienischen Lokalbesitzer Cesare (Michele Caciuffo), der von seinem Gegenspieler Bratsche (Alexander Hörbe) übers Ohr gehauen worden ist. Cesare bittet den Fremden, zum Schein darauf einzugehen, damit Wagner-Fan Bratsche kalte Füße bekommt. Als sich dessen Strohmann (Martin Feifel als völlig verkrachte Existenz) vor Kainers Augen das Leben nehmen will und er das Werk vollendet, greift ein Kommissar ins Geschehen ein. An der Aufklärung der Tat ist der zynische Decker (Justus von Dohnányi) jedoch überhaupt nicht interessiert. Ihm geht es vor allem darum, sich mit dem vermeintlichen Killer zu messen; und wenn er dabei Bratsche um viel Geld erleichtern kann, umso besser.
Selbst wenn sich sonst nichts Gutes über den Film sagen ließe: Allein Martin Wuttke ist eine Wucht. Schon der mit sonorer Stimme vorgetragene Monolog zur Einführung ist ein Genuss. Urlaub auf dem Bauernhof, erzählt Kainer, sei auch nicht mehr, was er mal war; dazu zeigt Westholzer, die mit "Heute stirbt hier Kainer" ihren ersten Langfilm gedreht hat, wie Maries Anwesen von einem geräuschlosen Kugelhagel zerfetzt wird.
Kainers Vorgeschichte bleibt nebulös; allerdings lässt er beiläufig die Bemerkung fallen, er sei immer überzeugt gewesen, eines Tages in einem Fadenkreuz zu sterben. Der Prolog deutet an, dass er eine unheilbare Krankheit hat, und spätestens jetzt wird klar, dass "Heute stirbt hier Kainer" eine moderne Variation von Don Siegels Spätwestern "Der letzte Scharfschütze" ("The Shootist", 1976, mit John Wayne) ist.
Tilmann P. Gangloff, Diplom-Journalist und regelmäßiges Mitglied der Jury für den Grimme-Preis, schreibt freiberuflich unter anderem für das Portal evangelisch.de täglich TV-Tipps und setzt sich auch für "epd medien" mit dem Fernsehen auseinander. Auszeichnung: 2023 Bert-Donnepp-Preis - Deutscher Preis für Medienpublizistik (des Vereins der Freunde des Adolf-Grimme-Preises).
Widrige Umstände und verschiedene Missgeschickte sorgen immer wieder dafür, dass sich Kainers Plan nicht so ohne Weiteres umsetzen lässt. So erweist es sich zum Beispiel als Fehler, dass er nur eine Patrone gekauft hat: Maries kleiner Sohn schnüffelt in seinem Gepäck rum und entdeckt die Waffe, was einen Hahn das Leben kostet. Es sind nicht zuletzt Details wie dieses, die dem Film einen ganz eigenen Flair verleihen, selbst wenn sie mitunter überhaupt nichts zur Geschichte beitragen, sondern einfach nur für einen schönen Übergang sorgen: Zu Beginn in der Stadt spricht Kainer mit einem Obdachlosen. Als er sich verabschiedet, hat der Mann einen Schienenbus in Spielzeugformat in der Hand; so kann die Regisseurin auf den echten Schienenbus umschneiden, in dem Kainer in die Provinz reist.
Im Zug trifft er erstmals auf eine Gruppe Neonazis, die ihm später noch einige Male das Leben schwer machen wird. Diese überzeichneten Gestalten sind der einzige Fehlgriff des Films. Völlig zur Farce gerät ihr Umgang mit dem dunkelhäutigen Tayo (Bless Amada), der angeblich Masochist ist und daher Demütigungen ebenso wie Schläge mit großer Dankbarkeit hinnimmt. Ungleich besser gelungen ist ein Jäger (Christian Redl), der sich schließlich als wahrer Freund entpuppt.
Nicht recht zeitgemäß ist dagegen die Geschlechterverteilung. Marie hat im Grunde nicht mehr zu tun, als sich von Kainer sexuell beglücken zu lassen; Proehl und Westholzer würden vermutlich darauf verweisen, dass Frauen bei John Ford ebenfalls keine besondere Rolle gespielt haben. Dessen Meisterwerken ist das flirrende Sommerlicht nachempfunden (Bildgestaltung: Armin Dierolf).
Die Musik von Matti Rouse ist die perfekte Untermalung für die lässige Inszenierung. Der wie einst bei Sam Peckinpah ("The Wild Bunch", 1969) in Zeitlupe zelebrierte Showdown, natürlich auch eine Reminiszenz an den Fred-Zinnemann-Klassiker "12 Uhr mittags" ("High Noon", 1952), ist zwar nicht so leichenreich wie bei "Im Schmerz geboren", aber genauso tödlich.