Dresden (epd). Die Themen Migration und Integration werden einer Studie zufolge in den Lehrplänen deutscher Schulen zu einseitig behandelt. Zentrale Etappen der jüngeren deutschen Migrationsgeschichte von der Gast- und Vertragsarbeiteranwerbung in den 1950er und 1960er Jahren über die Zuwanderung von sogenannten Spätaussiedlern bis hin zur Fachkräftemigration fänden in den Lehrplänen nur selten Erwähnung, kritisiert die am Mittwoch vorgestellte "Lehrplanstudie Migration und Integration" des Mercator Forums Migration und Demokratie (MIDEM) an der TU Dresden.
Stattdessen würden Migrationsphänomene oft mit krisenhaften Entwicklungen wie Flucht und Vertreibung verknüpft. Auch migrationsbedingte Vielfalt und Fragen nach Identität und Zugehörigkeit würden nur selten thematisiert.
Migration und Integration seien in den Lehrplänen nicht als gesellschaftliche Normalität abgebildet, kritisieren die Studienautorinnen und -autoren um MIDEM-Direktor Hans Vorländer. Sie empfehlen deshalb eine Überarbeitung der Lehrpläne mit einer stärkeren auch prüfungsrelevanten Verankerung der Themen Vielfalt und Integration.
Dabei sollten Lehrkräfte mit Migrationsgeschichte und migrationspädagogische Fachdidaktikerinnen und Fachdidaktiker einbezogen werden und die einzelnen Lehrplankommissionen der Länder sich austauschen. "Es geht bei der Bildung in einer vielfältigen Gesellschaft auch um die Sichtbarkeit individueller und kollektiver Migrationsgeschichten", sagte Politikprofessor Vorländer.
Für die Studie im Auftrag der Integrationsbeauftragten der Bundesregierung, Annette Widmann-Mauz (CDU), analysierten die Autoren die Fächer Geografie, Geschichte und Politik/Gemeinschaftskunde der Klassenstufen sieben bis zehn der Länder Bayern, Berlin, Brandenburg, Nordrhein-Westfalen und Sachsen. Darüber hinaus wurden Interviews mit Bildungsexperten und Lehrkräften geführt. Die Ergebnisse der Interviews seien nicht repräsentativ, würden jedoch Einsicht in die unterschiedlichen Perspektiven auf Lehrpläne geben, hieß es. Zudem wurden Schulgesetze und einschlägige Beschlüsse der Kultusministerkonferenz einbezogen.
Ein Viertel der Menschen in Deutschland habe eine Einwanderungsgeschichte, sagte Widmann-Mauz. Diese Vielfalt gehöre schon längst zum selbstverständlichen Alltag in den Schulen und Klassenzimmern. "Wichtig ist, dass diese Vielfalt mit all ihren Chancen und Herausforderungen auch im Schulunterricht und in den Lehrmaterialien zum Thema gemacht wird." Dafür liefere die Studie wertvolle Hinweise.
Das Mercator Forum Migration und Demokratie ist ein interdisziplinäres Forschungszentrum der TU Dresden und wird durch die Stiftung Mercator gefördert. Es untersucht den Angaben zufolge, wie Migration demokratische Politiken, Institutionen und Kulturen prägt und zugleich von ihnen geprägt wird.