Regie führte damals Jano Ben Chaabane; er hat auch "Lebendig begraben" inszeniert. Bei allem Respekt vor Katharina Mückstein, die das Niveau der Reihe mit dem letzten Film ("Tod im Fiaker) vor allem bildgestalterisch wieder deutlich angehoben hat: Chaabanes Film ist noch mal eine Stufe besser. Das gilt für die Umsetzung, aber auch für die Geschichte: Am 17. Oktober 2017 starb die Frau des früheren Wiener Chefinspektors Frau bei einer Bombenexplosion; er selbst hat damals sein Augenlicht verloren. Kein Wunder, dass er wie vom Donner gerührt ist, als er von dem Datum auf einem Zettel hört. Ein Anwalt hat die Zahlen vor seinem Tod notiert. Haller ist überzeugt, dass der Mord etwas mit dem damaligen Attentat zu tun hat. Die letzten Filme legten auch dank Philipp Hochmairs abgeklärtem Spiel die Vermutung nahe, der Ex-Polizist habe seinen Frieden gefunden und blicke nur noch nach vorn. Nun tritt die ganze Verbitterung wieder zu Tage.
Chaabane hat die Zuschauer zwar zu Zeugen des Mordes an dem Anwalt gemacht, aber trotzdem bleibt zunächst offen, welche Verbindung die Tat mit Haller hat. Tatsache ist immerhin, dass der Mörder sie offenbar von langer Hand geplant hat. Schließlich zeigt sich, dass Kurt Brandner (Alexander Beyer) auf einem Rachefeldzug ist: Am 17.10. 2017 hat sich sein Bruder in der Untersuchungshaft das Leben genommen. Der Lehrer hatte angeblich eine Schülerin ermordet. Hallers damalige Stellvertreterin, Laura Janda (Jaschka Lämmert), wertete den Suizid als Schuldeingeständnis, der Fall war somit erledigt, und angesichts des Attentats auf ihren Chef hatte die Polizistin ohnehin ganz andere Sorgen. Brandner will nun offenbar alle umbringen, denen er eine Mitschuld am Tod des älteren Bruders gibt. Das nächste Opfer, ein Therapeut (Murali Perumal), kann sich durch einen Sprung aus dem Fenster retten und genießt fortan Polizeischutz, aber auf der Liste steht natürlich auch Laura. Haller hat 48 Stunden Zeit, um den wahren Mörder des Mädchens zu finden, sonst muss die Ex-Kollegin sterben.
Die Geschichte – Jacob Grolls Drehbuch basiert auf einer Idee von Lars Albaum – ist fesselnd, aber noch besser ist die Umsetzung. Schon Mückstein hat bei ihrer Inszenierung großen Wert auf besondere Bilder gelegt. Chaabane und Kameramann Tobias von dem Borne (er war auch bei der "Blind ermittelt"-Episode "Das Haus der Lügen" dabei) setzen mit Hilfe schwungvoller Kamerafahrten und ausgefallener Perspektiven immer wieder optische Akzente. Die effektvollste Einstellung haben sie sich für den Schluss aufgespart, als der Krimi seinem deutschen Titel gerecht wird. Die ORF-Version heißt "Endstation Zentralfriedhof". Just hier trägt sich das Finale zu, bei dem Haller und seinem Freund Nikolai (Andreas Guenther) nur wenige Minuten bleiben, um Brandners Geisel zu retten. Als sich die Kamera in die Höhe schraubt, verdeutlicht der Blick auf Tausende von Gräbern die Unmöglichkeit dieses Unterfangens. Hier überhaupt eine Drehgenehmigung zu bekommen, dürfte auch nicht selbstverständlich sein. Es gehört zum typischen Humor des Films, dass zum Abspann "Es lebe der Zentralfriedhof" von Wolfgang Ambros erklingt.
Tilmann P. Gangloff, Diplom-Journalist und regelmäßiges Mitglied der Jury für den Grimme-Preis, schreibt freiberuflich unter anderem für das Portal evangelisch.de täglich TV-Tipps und setzt sich auch für "epd medien" mit dem Fernsehen auseinander. Auszeichnung: 2023 Bert-Donnepp-Preis - Deutscher Preis für Medienpublizistik (des Vereins der Freunde des Adolf-Grimme-Preises).
Unter Chaabanes Regie ist "Lebendig begraben" wieder mehr "Buddy"-Komödie, zumal Guenther seine Figur kindsköpfiger interpretieren darf und viele witzige Dialoge hat. Anders als in den letzten Filmen rückt auch die Blindheit Hallers stärker in den Vordergrund. Der Regisseur hat der Hauptfigur bereits in "Die verlorenen Seelen von Wien", dem zweiten Film der Reihe, zumindest andeutungsweise einige jener Fähigkeiten angedichtet, durch die sich der blinde Comic-Detektiv Daredevil auszeichnet: Als Niko ihm ein Sandwich klauen will, ergreift Haller blitzschnell das Handgelenk des Freundes. Andererseits ist er aufgrund der Konfrontation mit dem Schicksalsschlag deutlich unleidlicher als zuletzt. Chabaane (zuletzt "MaPa", 2020), der vor dem ersten "Blind"-Krimi nur die allerdings ebenfalls beachtliche Priesterkrimiserie "Culpa – Niemand ist ohne Schuld" (13th Street, 2017) gedreht hat, inszeniert Haller konsequent als Antihelden, dem Brandner völlig zu Recht vorhält, seine Mitmenschen seien für ihn bloß ein Hintergrundgeräusch. Auch davon profitiert Guenthers Rolle: weil sich Niko umso mehr als wahrer Freund erweisen kann. Reizvoll ist zudem die Idee, Haller vor seinem geistigen Auge mehrfach mit seinem Alter Ego aus der Zeit vor der Explosion zu konfrontieren; eine clevere Idee, um zu verdeutlichen, wie allein er letztlich in der Dunkelheit seines Daseins ist. Ausgefallen ist auch die Musik (Tim Schwerdter), die zuweilen nur aus diversen Schlaginstrumenten besteht.