Berlin (epd). Der ehemalige Vizepräsident des Bundesverfassungsgerichts, Ferdinand Kirchhof, hält eine stärkere Beteiligung des Bundestags bei der Bekämpfung der Corona-Pandemie für verfassungsrechtlich zwingend geboten. "Mir fehlt die Beteiligung des Parlaments an der Prüfung der Verhältnismäßigkeit der Maßnahmen und der ihnen entgegenstehenden Rechtsgüter", sagte Kirchhof der Tageszeitung "Die Welt" (Online Freitag/Print Samstag). "Es ist feststehende Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, dass der Bundestag selbst diese Austarierung bei einer Beschränkung von Grundrechten übernehmen muss."
Der Staatsrechtler beklagte, dass sich das Parlament darauf beschränke, die epidemische Lage von nationaler Tragweite zu erklären. "Das ist die Grundvoraussetzung, damit die Exekutive auf den Maßnahmenkatalog des Infektionsschutzgesetzes zurückgreifen kann. Wenn dieser Schalter aber umgelegt ist, fallen alle Beschränkungen, und die Exekutive darf ohne Mitsprache des Bundestags umfassend handeln." Es gebe keine Handhabe, den Bundestag zu mehr Beteiligung zu verpflichten: "Es bleibt nur der Appell an die Abgeordneten. Das Parlament ist der Souverän. Es entscheidet, ob und wie es etwas tut. Und es kann eben auch entscheiden: Wir tun nichts, oder wir tun wenig."
Kirchhof kritisierte auch die Fokussierung auf die Inzidenzwerte. Die seien nur "ein grober Maßstab, der aber längst nicht das ganze Grundrechtsgefüge erfasst, das wir beachten müssen. Ich halte es mittlerweile für verfassungsrechtlich dringend angezeigt, dass wir noch andere Parameter berücksichtigen", so der ehemalige Verfassungsrichter. "Wenn ein Kreis eine Inzidenz von 250 hat, und die Infizierten spüren keine Symptome oder nur die einer leichten Grippe, dann ist mir die Inzidenz ziemlich egal. Wenn ein Kreis die Inzidenz von 30 hat und das führt zu 25 Todesfällen, dann brennt es. Und das muss man auch gesetzlich abbilden."
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