Virologe: Corona-Modellversuch im Saarland "zu groß"
Kritik auch vom Marburger Bund
Zu groß, zu viel, richtig und wichtig - die Reaktionen auf die Öffnungsstrategie im Saarland stoßen bundesweit auf ein geteiltes Echo. Die Saar-Kommunen fordern eine frühe Einbindung und Unterstützung.

Saarbrücken (epd). Der Virologe Martin Stürmer hält die im Saarland geplanten Lockerungen der Corona-Maßnahmen nach Ostern für "sehr mutig". "Das einzige Problem, was ich jetzt daran sehe, ist, dass mir das Ganze etwas zu groß und etwas zu viel ist", sagte er am Freitag im Inforadio vom Rundfunk Berlin-Brandenburg (rbb). Er plädierte dafür, erst einmal das Infektionsgeschehen wieder in den Griff zu bekommen sowie Modelle kleiner und gezielter zu machen. Kritisch äußerte sich auch der Marburger Bund zum sogenannten Saarland-Modell, während der saarländische Städte- und Gemeindetag das Vorgehen begrüßte.

Ministerpräsident Tobias Hans (CDU) und seine Stellvertreterin Anke Rehlinger (SPD) hatten das Projekt am Donnerstag vorgestellt. Ab dem 6. April sollen den Planungen zufolge wieder private Treffen im Freien mit zehn Menschen, kontaktloser Sport in Hallen, Kontaktsport draußen und Kulturveranstaltungen möglich sein. Auch die Außengastronomie soll wieder öffnen. Bedingung dafür sind die nach wie vor gültigen Hygiene-, Abstands- und Schutzregeln sowie ein tagesaktueller Test auf das Virus.

Das Projekt entspricht dem vierten Schritt des ursprünglich Anfang März von der Ministerpräsidentenkonferenz vorgelegten Öffnungsplans. Dieser sah frühestens ab 22. März bei einer stabilen Sieben-Tages-Inzidenz von 50 bis 100 die nun vom Saarland vorgelegten Öffnungen mit jeweils tagesaktuellen Schnell- oder Selbsttests vor. Laut Daten des saarländischen Gesundheitsministeriums vom Donnerstag liegt die Inzidenz zurzeit saarlandweit bei 73,1. Allerdings weicht der Landkreis Neunkirchen mit einem Wert von 106,6 davon ab.

Der Virologe Stürmer erklärte im rbb, dass die zurzeit niedrige Inzidenz im Saarland nicht so bleiben müsse. Schließlich verbreite sich im Nachbarland Frankreich auch die ansteckendere südafrikanische Variante des Virus. "Da muss man so ein bisschen aufpassen, dass uns die Variante nicht deutlich stärker reindrückt, wenn wir zu viel lockern dort", sagte der Leiter des IMD Labors Frankfurt.

Nach Daten der französischen Gesundheitsbehörden liegt der Inzidenzwert für Frankreich bei 325,4, für das an das Saarland angrenzende Département Moselle bei 291,5. Allerdings scheint der Variantenanteil dort mittlerweile von über 50 Prozent Ende Februar auf rund 36 gesunken zu sein.

Hans hatte am Donnerstag erklärt, dass Frankreich erfolgreich mit Impfungen dabei sei, die Mutationen des Coronavirus zurückzudrängen. Dementsprechend seien auch die auf dem Impfgipfel zugesicherten 80.000 zusätzlichen Impfdosen für das Saarland als Grenzregion wichtig. Sie kämen in das bestehende System und würden nach Impfempfehlung verimpft.

Die Vorsitzende des Ärzteverbands Marburger Bund, Susanne Johna, äußerte sich in der Düsseldorfer "Rheinischen Post" (Freitag) kritisch zum saarländischen Vorgehen. Es sei völlig unklar, wie die Einreise vieler Menschen aus anderen Bundesländern verhindert werden solle. Bei vielen Tests müsse zudem vorher eindeutig geklärt sein, was positiv getestete Menschen tun müssten. "Kommunen, die sich als Modellregion beteiligen, müssen die Einhaltung der Quarantäne von positiv Getesteten auch überprüfen", sagte Johna.

Der saarländische Städte- und Gemeindetag hatte am Donnerstag das "Saarland-Modell" als "richtig und wichtig" begrüßt. Ein Erfolg des Modells sei auch davon abhängig, dass die Kommunen nicht überfordert würden. Deswegen brauche es eine frühe Einbindung der Städte und Gemeinden. Zudem bräuchten sie Unterstützung von der Landesregierung um Testmöglichkeiten auszuweiten.