Es ist ein großes Überraschungsei, das Bund und Länder den Religionsgemeinschaften zu Ostern ins Nest gelegt haben: Wenn es nach den jüngsten Corona-Beschlüssen geht, sollen zum Höhepunkt der Karwoche und des jüdischen Pessachfestes keine religiösen Präsenzveranstaltungen stattfinden. Darum wollen sie die Religionsgemeinschaften zumindest in Gesprächen bitten.
Davon waren die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD), die katholische Deutsche Bischofskonferenz und der Zentralrat der Juden am Dienstag irritiert. "Wir sind überrascht worden. Ostern ist das wichtigste Fest für uns, Gottesdienste sind kein Beiwerk", sagte der Vorsitzende der Bischofskonferenz, Georg Bätzing, laut einem Tweet, den die Bischofskonferenz veröffentlichte. Der Limburger Bischof Bätzing betonte, zu Weihnachten hätten die Kirchen gezeigt, dass sie mit Vorsicht Messe feiern könnten. "Darauf wollen wir Ostern nicht verzichten."
Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) distanziert sich derweil von der Bitte von Bund und Ländern. Sein Haus habe diesen Vorschlag nicht gemacht, obwohl es für die Religionen zuständig sei. "Es hat mich schon erstaunt, dass ausgerechnet Parteien, die das C im Namen führen, den Kirchen den Verzicht auf Gottesdienste nahelegen, noch dazu an Ostern", sagte Seehofer der "Bild"-Zeitung (Mittwoch). Seehofer betonte, es gebe kein Verbot und keine Forderung, Gottesdienste zu Ostern ausfallen zu lassen. "Ich möchte ausdrücklich darauf hinweisen, dass es sich hier um eine Bitte handelt", fügte er hinzu. Das Innenministerium habe schon sehr früh in der Pandemie gemeinsam mit den Kirchen Hygienekonzepte ausgearbeitet, "die bis heute tadellos funktionieren".
Der sächsische Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) stellte am Dienstagabend in den ARD-"Tagesthemen" heraus, dass die Kirchen eigenverantwortlich entscheiden sollen, ob sie Präsenzgottesdienste feiern. "Wir sollten das nicht vorgeben als Politik", sagte er. Er habe keinen Zweifel daran, dass die Kirchen einen "klugen und verantwortungsvollen Weg" finden.
Beford-Strohm will genaue Erläuterungen von der Politik
Der EKD-Ratsvorsitzende Heinrich Bedford-Strohm hatte am Dienstag gesagt, man wolle in den angekündigten Gesprächen sich genau erläutern lassen, warum die bewährten Hygieneschutz-Maßnahmen, die alle Landeskirchen für ihre Gottesdiensten hätten, nun nicht mehr ausreichten. Am Mittwoch wollen sich demnach alle 20 evangelischen Landeskirchen beraten. Bis Donnerstagabend solle eine Position vorliegen.
Der Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, Josef Schuster sagte, es gehe darum, gemeinschaftlich eine verfassungskonforme Lösung zu finden, die dem Grundrecht auf Religionsfreiheit gerecht werde. Der Vorsitzende der Deutschen Evangelischen Allianz, Ekkehart Vetter, betonte ebenfalls das Recht auf ungestörte Religionsausübung. Christen genössen an Karfreitag und Ostern nicht einfach freie Tage, sondern sie beteten miteinander und feierten den lebendigen Gott.
In den Beschlüssen heißt es: "Bund und Länder werden auf die Religionsgemeinschaften zugehen, mit der Bitte, religiöse Versammlungen in dieser Zeit nur virtuell durchzuführen." Teil des Beschlusspakets war eine "erweiterte Ruhezeit" zu Ostern: Der Gründonnerstag (1. April) und der Karsamstag (3. April) sollten zu einmaligen Ruhetagen erklärt werden, so dass das Land vom 1. bis 5. April komplett herunterfährt. Diesen Beschluss zur "erweiterten Ruhezeit" nahm Kanzlerin Angela Merkel (CDU) am Mittwoch zurück und entschuldigte sich für diesen "Fehler". Was die Absage der Osterruhe für die Kirchen und das Abhalten von Präsenz-Gottesdiensten bedeutet, blieb zunächst unklar.
Dreyer verteidigt Bund-Länder-Empfehlung
Die rheinland-pfälzische Ministerpräsidentin Malu Dreyer (SPD) verteidigte die Entscheidung, dass möglichst keine Ostergottesdienste stattfinden sollten. "Das Ziel ist, dass alles zur Ruhe kommt", sagte sie. Daher gebe es die klare Erwartung an die Kirchen, auf Präsenzgottesdienste zu verzichten. Der bayerische Ministerpräsident Markus Söder (CSU) sagte, es bleibe beim Appell. Die Möglichkeit zu Präsenz-Gottesdiensten an Sonn- und Feiertagen bleibe bestehen.
Es könnte für viele Gemeinden das zweite Jahr in Folge sein, in dem sie zu den höchsten christlichen Feiertagen auf Gottesdienste mit Besuchern verzichten. 2020 hatte es eine Abmachung zwischen Staat und Kirchen gegeben, während des ersten Corona-Lockdowns im April Präsenzveranstaltungen auszusetzen. Die Bereitwilligkeit, mit der die Kirchen dem zugestimmt hatten, hatte für Kritik gesorgt. Viele leitende Geistliche hatten anschließend betont, eine solche Situation solle es nicht wieder geben. An Weihnachten hatten daher trotz vielerorts hoher Inzidenzen Gottesdienste mit strengen Hygieneregeln stattgefunden.
Der Präsident des Zentralkomitees der deutschen Katholiken (ZdK), Thomas Sternberg, sagte dem "RedaktionsNetzwerk Deutschland" (Mittwoch), in den Gesprächen müsse deutlich werden, "dass die Öffnung der Kirchentüren zu Ostern etwas anderes ist als die Öffnung irgendwelcher Geschäfte. Das ist kein Leichtsinn, sondern verantwortungsvoll unter Wahrung strenger Regeln möglich." Die Sorgen der Pandemie würden auch die Gottesdienste zu Ostern berühren, sie seien alles andere als unwichtig. Sternberg sagte: "Nicht zuletzt hat die Weihnachtszeit gezeigt: Kein katholischer Gottesdienst wurde zum Corona-Hotspot." Daran könne man anknüpfen in den Ostertagen.