Kassel (epd). Der Verzicht auf einen Wohngeldantrag kann sich für bedürftige Menschen lohnen. Steht ihnen ohne Wohngeld ergänzende Sozialhilfe zu, dann können Betroffene mitunter Vergünstigungen für Sozialhilfebezieher - wie günstigere Monatstickets für den öffentlichen Nahverkehr - nutzen, stellte das Bundessozialgericht (BSG) in Kassel in einem am Dienstag verkündeten Urteil klar. (AZ: B 8 SO 2/20 R) Sozialhilfeträger dürften für den Erhalt ergänzender Sozialhilfe nicht verlangen, dass die mittellose Person zuerst Wohngeld beantragt, befand das Gericht.
Im konkreten Fall hatte ein Rentner aus Berlin wegen seines geringen Ruhegeldes zunächst Wohngeld erhalten. Die Einkünfte waren damit aber so groß, dass er keinen Anspruch auf ergänzende Sozialhilfe mehr hatte. Als dann der Rentner keinen Antrag auf Weiterbewilligung des Wohngeldes stellte und stattdessen Sozialhilfe verlangte, lehnte das Land Berlin als Sozialhilfeträger dieses Anliegen ab. Sozialhilfe könne erst nachrangig gewährt werden. Erst müsse der Mann Wohngeld beantragen, so die Behörde.
Dem wollte Rentner aber 2017 nicht nachkommen. Denn mit der ergänzenden Sozialhilfe könne er Vergünstigungen erhalten, die er als Wohngeldempfänger nicht habe. Konkret ging es um den Berlinpass, den seit 2018 allerdings auch Wohngeldbezieher erhalten. Besitzer können damit etwa ein Nahverkehrsticket für derzeit 27,50 Euro statt regulär 86 Euro monatlich kaufen und auch kostenlosen Eintritt zu verschiedenen Freizeiteinrichtungen erhalten.
Sozialhilfebezieher haben noch weitere Vorteile. So gibt es eine Befreiung von Zuzahlungen von Arzneimitteln oder eine automatische Befreiung vom Rundfunkbeitrag. Letztere können zwar auch Wohngeldempfänger erhalten, aber nur, wenn sie rechtzeitig einen Antrag stellen.
Das BSG gab dem Rentner nun recht. Man dürfe wählen, ob nur Sozialhilfe oder erst auch Wohngeld beantragt werde. Zumindest dürfe der Sozialhilfeträger nicht zwingend erst einen Wohngeldantrag verlangen. Der im Sozialgesetzbuch festgeschriebene Nachrang der Sozialhilfe sei lediglich ein "Programmsatz", der Betroffene nicht verpflichte, Leistungen wie hier das Wohngeld auch zu beantragen.