Psychiaterin: Frauen als Gewaltstraftäterinnen nicht tabuisieren
22.03.2021
epd
epd-Gespräch: Patricia Averesch

Wien (epd). Die Psychiaterin Sigrun Roßmanith warnt davor, Frauen als Verantwortliche für Gewalt- und Sexualstraftaten auszublenden. Bis heute sei die Vorstellung, dass es keine Frauen gebe, die morden und missbrauchen, in der Gesellschaft weit verbreitet, sagte sie dem Evangelischen Pressedienst (epd) in Wien. Nach 25 Jahren als Strafgerichtsgutachterin wisse sie aber: "Das stimmt schlicht einfach nicht. Auch Frauen sind dazu fähig, brutale Gewalt anzuwenden. Sie morden, missbrauchen, vergewaltigen und stalken."

Mit ihrem jüngst veröffentlichten Sachbuch "Täterin" will Roßmanith dem gesellschaftlichen Stereotyp entgegenwirken. "Auch wenn Täterinnen eine Seltenheit sind, gehört dieser kleine Schatten zum Gesamtbild dazu", sagt sie. Im deutschsprachigen Raum liegt der Anteil von Frauen an der Gewaltkriminalität bei 12 bis 15 Prozent, der Anteil von Sexualstraftäterinnen liegt bei zwei bis sechs Prozent weltweit.

Gerade für die Strafverfolgung sei es wichtig, dass Gewalt- und Sexualstraftaten von Frauen nicht tabuisiert würden. Erst wenn eine Sexualstraftäterin vor Gericht als eine solche und nicht nur als Gewaltstraftäterin identifiziert werde, könne ihr nach der Verurteilung mit einer gezielten Therapie geholfen werden. Das sei wichtig, um zu verhindern, dass die Frau eine weitere Tat begeht, fügte Roßmanith hinzu. Sie gehe davon aus, dass das Tabu teils auch unter erfahrenen Gutachtern und Kriminologen vorhanden ist.

Dass Frauen nicht zugetraut wird, zu Bösem fähig zu sein, führt die 69-Jährige auf das Bild der "guten Mutter" zurück. Der Blick auf die Frau sei auch immer mit dem Blick auf die Mutter in einem übergeordneten Sinn verbunden, erklärte sie. "Wir glauben an die gute Mutter, die gebärt, schützt und für das Leben steht. Dieses Bild ist inkompatibel mit dem einer Person, die schwere Straftaten wie Mord, Missbrauch und Vergewaltigung begeht." Zusätzlich begünstige die Tatsache, dass Frauen deutlich häufiger als Männer Opfer von Gewalttaten sind, die Annahme, dass der Täter zwangsläufig männlich sein müsse.

Die Taten von Frauen unterscheiden sich laut Roßmanith insofern von denen der Männer, dass Frauen ihre Opfer meist vor der Tat kennen. "Sie sind Beziehungs- und Konflikttäterinnen", erklärte die Psychiaterin. Am häufigsten richte sich ihre Gewalt gegen den Partner oder ihre Kinder. Klassische Motive dafür, warum eine Frau zum Beispiel ihr eigenes Kind umbringe, seien Überforderung, Angst, Wut und Eifersucht. Je jünger das Kind ist, desto eher seien Mütter die Täterinnen. Mit zunehmendem Alter seien es meist die Väter.