Frankfurt a.M. (epd). Vor den nächsten Bund-Länder-Beratungen zur Corona-Lage werden die warnenden Stimmen lauter. Vizekanzler Olaf Scholz (SPD) und Bundesforschungsministerin Anja Karliczek (CDU) plädierten am Wochenende angesichts der anschwellenden dritten Pandemie-Welle dafür, Öffnungsschritte wieder zurückzunehmen. In den Bundesländern zeigte sich vor der für Montag geplanten Videokonferenz ein gemischtes Bild: Zumindest in Regionen mit niedrigen Inzidenzen wollen einige Regierungschefinnen und Regierungschefs mehr Freiheiten ermöglichen. Im Mittelpunkt der Debatten standen erneute Schulschließungen und die Möglichkeit von Osterurlaub in Deutschland.
Finanzminister Scholz sagte der "Bild am Sonntag": "Im Augenblick steigt die Zahl der Neuinfektionen wieder deutlich, deshalb werden wir jetzt keinen großen Öffnungsschritt gehen können. Und in Regionen mit besonders hohen Werten wird man die Notbremse ziehen müssen." Zudem warnte er vor einer Reisewelle an Ostern. Vielleicht könne man innerhalb eines Landes ermöglichen, dass Ferienwohnungen genutzt werden. "Wenn aber ganz viele im großen Stil Osterurlaub machen, gefährdet das den Sommerurlaub von uns allen", sagte der SPD-Politiker.
Der bayerische Ministerpräsident Markus Söder (CSU) sagte der "Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung": "Weitere Öffnungen ergeben angesichts der erneut steigenden Infektionen keinen Sinn. Die Notbremse muss für alle gelten. Und zwar konsequent."
Forschungsministerin Karliczek sagte der "Welt am Sonntag": "Bund und Länder haben sich auf die Notbremse ab einer Inzidenz von 100 geeinigt. Das muss eingehalten werden." Dem beim Bund-Länder-Treffen am 3. März beschlossenen Öffnungsfahrplan zufolge sollen Lockerungen der Schutzmaßnahmen mittels der sogenannten Notbremse zurückgenommen werden, wenn die Sieben-Tage-Inzidenz von 100 überschritten wird.
Im bundesweiten Durchschnitt wurde dieser Wert am Wochenende erreicht. Am Sonntagmorgen meldete das Robert Koch-Institut (RKI) 13.733 Neuinfektionen mit dem Coronavirus binnen 24 Stunden. Bundesweit stieg die Sieben-Tage-Inzidenz, die die Zahl der Neuansteckungen innerhalb einer Woche bezogen auf 100.000 Einwohner angibt, auf 103,9 - bei starken regionalen Unterschieden. Die Zahl der Todesfälle im Zusammenhang mit dem Coronavirus erhöhte sich um 99 auf 74.664.
Der Präsident des Deutschen Lehrerverbandes, Hans-Peter Meidinger, sagte der "Bild am Sonntag", er glaube nicht, "dass wir die Schulen in der dritten Welle offen lassen können". Grund sei vor allem, dass nicht ausreichend Schnelltests für Schüler und Lehrkräfte vorhanden seien. Anne Lütkes, Vizepräsidentin des Deutschen Kinderhilfswerkes, sagte den Zeitungen der Funke Mediengruppe (Sonntag, online), sie befürchte, dass Kitas und Schulen bald wieder komplett schließen müssen.
Der brandenburgische Ministerpräsident Dietmar Woidke (SPD) sagte, er sehe keinen Spielraum für Lockerungen. "Im Gegenteil: Ab Montag müssen in einigen Brandenburger Landkreisen mit hohen Werten einige Öffnungen wieder zurückgenommen werden", kündigte er in der "Welt am Sonntag" an.
Andere Bundesländer wollen Lockerungen regional testen. Bei den anstehenden Beratungen "machen wir uns für flexiblere Lösungen im Sinne von Modellkommunen und -landkreisen stark", sagte die rheinland-pfälzische Regierungschefin Malu Dreyer (SPD) der "Welt am Sonntag". In engen Grenzen könne es Lockerungen geben, "wenn der Inzidenzwert dort unter 100 liegt und ein lückenloses Test- und Kontakterfassungssystem vorliegt und die Kontrolle sichergestellt ist".
Der sachsen-anhaltische Ministerpräsident Reiner Haseloff (CDU) sagte der Zeitung, in den Osterferien "könnte für Landeskinder autarker Urlaub möglich sein - also innerhalb der Grenzen Sachsen-Anhalts, etwa im Harz". Das betreffe Ferienwohnungen wie Camping-Urlaub.
Verschiedene Ärztevertreter warnten am Wochenende massiv vor weiteren Lockerungen und blickten pessimistisch voraus. Die Vorsitzende der Ärzteorganisation Marburger Bund, Susanne Johna, sagte der "Neuen Osnabrücker Zeitung" (Samstag): "Ich rechne ab Ostern mit einer noch kritischeren Lage als zum Jahreswechsel." Es sei unverantwortlich gewesen, in die dritte Welle und die Ausbreitung der Mutanten hinein zu lockern, wie es Bund und Länder am 3. März vereinbart hatten. "Dadurch droht den Kliniken nun die dritte Extremsituation binnen eines Jahres", sagte Johna.
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