Psychologieprofessor: Küssen und Umarmen kommen zurück
19.03.2021
epd
epd-Gespräch: Brigitte Bitto

München (epd). Fehlende Nähe zu Freunden und Familie gehört nach Ansicht des Münchner Psychologieprofessors Dieter Frey für viele zu den gravierendsten Erfahrungen in der Corona-Pandemie. Menschen seien soziale Wesen, sie könnten sich ohne Kontakte nicht entwickeln, sagte der Sozialpsychologe dem Evangelischen Pressedienst (epd). Dass sie Berührungen nach einem Jahr Abstand verlernen, fürchtet Frey nicht. Wenn die Pandemie vorbei sei, werde das Küssen und Umarmen umso herzlicher zurückkommen.

Die Sehnsucht nach Nähe und Wärme sei stark, auch weil man wisse, dass es wieder Zustände geben könne, wo man das zurücknehmen muss. "Man wird Umarmungen mehr schätzen", ist Frey überzeugt. Gerade eine Umarmung sei etwas Besonderes und lasse sich auch nicht durch einen Ellenbogen-Gruß oder Fußkick kompensieren. "Eine Umarmung bedeutet so etwas wie eine emotionale Begegnung", erläuterte der Psychologe. Sie sei das Zeichen tiefer Verbundenheit.

Im Durchschnitt umarmten sich Frauen mehr als Männer und Jüngere mehr als Ältere. "Deshalb leiden die jüngeren Leute auch mehr darunter, dass sie durch die Pandemie diese Berührungen nicht mehr so zeigen können und permanent Gefühle unterdrücken müssen", sagte der Professor für Sozial- und Wirtschaftpsychologie. Insgesamt sei der Wunsch nach Nähe und Berührung aber ein menschliches Grundbedürfnis, das immer wieder durchkomme.

Auch kulturell gibt es Unterschiede: "Familie, Feiern und auch Berührungen spielen im Süden Europas eine größere Rolle", erklärte Frey. Das liege mit daran, dass der Süden katholisch geprägt sei, der Norden protestantisch. "Der Katholizismus ist eine eher kollektive Religion, der Protestantismus eine individuelle. Das zeigt sich auch im sozialen Miteinander."

Berührungen ließen sich digital nicht kompensieren, erläuterte Frey. Dennoch hat er die Erfahrung gemacht, dass sich eine gewisse Nähe auch per Computer herstellen lasse - etwa durch gutes Zuhören, gutes Fragenstellen und dem anderen den eigenen Gefühlszustand beschreiben.