Hannover (epd). Der hannoversche Pharmakologe Roland Seifert hält das Aussetzen der Impfungen mit dem Präparat von Astrazeneca für den falschen Schritt. "Es ist voreilig, dass jetzt ein so wichtiger Prozess wie die Bekämpfung der Pandemie unterbrochen wird, wegen einer möglichen sehr seltenen unerwünschten Wirkung." Noch sei zudem unklar, ob es wirklich einen ursächlichen Zusammenhang zur Impfung gebe, sagte der Direktor des Institutes für Pharmakologie an der Medizinischen Hochschule Hannover am Dienstag dem Evangelischen Pressedienst (epd).
Deutschland hatte die Corona-Schutzimpfungen mit dem Präparat am Montag vorläufig gestoppt. Grund dafür waren Meldungen von Thrombosen der Hirnvenen im zeitlichen Zusammenhang mit der Impfung. Seifert hält es für richtig, dass jetzt weitere Untersuchungen zu dem Impfstoff erfolgen. "Man sollte das überprüfen, aber nicht den fahrenden Zug stoppen", sagte er. "Weil so der Eindruck erweckt wird, der Impfstoff könne für die breite Allgemeinheit gefährlich sein. Und das ist er mit Sicherheit nicht."
Ob die Menschen, bei denen die Thrombosen auftraten, Vorerkrankungen hatten, sei unklar, sagte Seifert, der auch stellvertretender Vorsitzender der Deutschen Gesellschaft für Pharmakologie ist. Das Risiko unerwünschter Nebenwirkungen lasse sich auch dadurch weiter einschränken, dass zum Beispiel Patienten mit Vorerkrankungen wie einem Herzinfarkt oder Schlaganfall bei der Impfung mit Astrazeneca ausgenommen würden.
Er halte die Gefahr durch schwere Corona-Erkrankungen und hohe Inzidenzen, bei denen viele Menschen unerkannt das Virus weitergeben, derzeit für viel gravierender, sagte Seifert. "Da hat man das Gesamtgesellschaftliche nicht abgewogen." An den Impfstoff würden weit höhere Maßstäbe angelegt als an andere Medikamente wie etwa Blutdrucksenker oder Diabetesmittel. Mit Blick auf deren ebenfalls sehr seltene Nebenwirkungen dürfte sonst auch diese niemand einnehmen.
Die Verunsicherung durch das Aussetzen der Impfungen sei immens. Auch wenn Astrazeneca wieder verabreicht werden kann, bestehe die Gefahr eines psychologischen "Nocebo-Effektes", erläuterte der Pharmakologe. "Wenn ich jemandem sage, ich gebe dir etwas und danach geht es dir schlecht, du bekommst Kopfweh oder dir wird übel. Dann ist die Wahrscheinlichkeit groß, dass es auch so kommt."