Berlin (epd). Prioritäten erhalten, Flexibilität ermöglichen: Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) wendet sich gegen eine Aufgabe der Impfreihenfolge bei der Einbeziehung von Hausärzten in die Corona-Impfungen. Zudem will er sich weiterhin nicht auf ein bundesweit flächendeckendes Impfen in Praxen vor Mitte April festlegen lassen. Als Grund nannte er am Freitag in Berlin die begrenzten Impfstoffmengen.
Solange der Impfstoff noch knapp sei, müssten weiter zunächst die besonders Gefährdeten, nämlich die Hochbetagten, geimpft werden, sagte Spahn: "Wir können aber mit jedem Schritt und wachsender Menge die Übergänge fließender gestalten." Und gerade für Menschen mit Vorerkrankungen seien die Arztpraxen ein "idealer Ort", weil sie dort als Patienten bekannt seien.
Nach der geänderten Impfverordnung des Bundes kann von der Reihenfolge dann abgewichen werden, "wenn dies für eine effiziente Organisation der Schutzimpfungen oder eine zeitnahe Verwendung vorhandener Impfstoffe notwendig ist, insbesondere um den Verwurf von Impfstoffen zu vermeiden". Das gilt für Impfzentren und Hausärzte gleichermaßen. Abweichungen werden auch regional erlaubt, etwa in Grenzregionen sowie in Gebieten mit besonders hohen Ansteckungszahlen. Damit können etwa Bayern, Sachsen und das Saarland an den Grenzen die gesamte Bevölkerung impfen. Die geänderte Impfverordnung war am Donnerstag veröffentlicht worden. Sie gilt rückwirkend seit 8. März.
Nach der neuen Verordnung dürfen auch Haus- und Betriebsärzte Impfungen vornehmen. Das soll bundesweit flächendeckend ab Mitte April der Fall sein, wenn der von den Lieferanten zugesagte Impfstoff zur Verfügung steht. Spahn stellte am Freitag klar, dass neben dem Impfen in den Praxen die Impfzentren bis auf weiteres weiter betrieben werden sollen. Allerdings sei der Wechsel in die Praxen ein "entscheidender Schritt", um das Impftempo zu erhöhen.
Seine von Ärztevertretern in den vergangenen Tagen kritisierte Zurückhaltung beim Zeitplan begründete Spahn mit Unsicherheiten bei der Logistik. Die Einbeziehung der Arztpraxen bei den Impfungen sei ein "sehr, sehr großer Schritt". "Wenn 50.000 Arztpraxen mitmachen, 20 Dosen die Woche, sind schon eine Million Dosen", rechnete der Minister vor. Und 20 Dosen würde gerade einmal für eine Impfsprechstunde reichen.
Wenn deutlich mehr Impfstoff als erwartet früher geliefert werden würde, "werden wir den Schritt auch früher gehen können", sagt Spahn. Doch wisse man noch nicht von allen Lieferanten abschließend alle Lieferdaten für April.
Anke Richter-Scheer, Vorstandsmitglied im Hausärzteverband Westfalen-Lippe und Leiterin des Impfzentrums im Kreis Minden-Lübbecke, warb dafür, die Praxen so schnell wie möglich in die Impfkampagne einzubeziehen und sprach von "Anfang April, am liebsten noch früher". Indes blieben die Impfzentren sinnvoll, um dort zum Beispiel Angehörige bestimmter Berufsgruppen wie Lehrkräfte und Kita-Personal zu impfen. "Die können wir in den Hausarztpraxen alleine nicht schaffen", sagte Richter-Scheer.
Der Präsident des Robert Koch-Instituts (RKI), Lothar Wieler, sagte zur Pandemielage: "Jetzt stehen wir am Anfang der dritten Welle." Er rief dazu auf, die Hygieneregeln und Kontaktbeschränkungen weiter einzuhalten, um die Welle gemeinsam so flach wie möglich zu halten.
Am Freitagmorgen hatte das RKI 12.834 neue Infektionen mit dem Coronavirus gemeldet. Damit registrierten die deutschen Gesundheitsämter binnen 24 Stunden 2.254 Neuinfektionen mehr als eine Woche zuvor. Außerdem starben 252 weitere Menschen im Zusammenhang mit dem Virus, so dass sich die Gesamtzahl der Corona-Toten in Deutschland auf 73.062 Menschen erhöhte. Die Sieben-Tage-Inzidenz, die die Zahl der Ansteckungen binnen einer Woche bezogen auf 100.000 Einwohner angibt, erhöhte sich bundesweit auf 72,4, bei starken regionalen Unterschieden.