Berlin (epd). Für Betroffene von sexuellem Missbrauch fehlt es weiterhin an einfach zugänglicher Unterstützung und Hilfe. Ein am Dienstag in Berlin vorgestelltes Forschungsprojekt kommt zu dem Schluss, dass die Erwartungen der Menschen nach dem Bekanntwerden der Missbrauchsskandale vor elf Jahren vielfach enttäuscht wurden. Für das Projekt wurden mit Zustimmung der Betroffenen 229 Briefe und E-Mails ausgewertet, die diese an die erste unabhängige Missbrauchsbeauftragte, Christine Bergmann, geschrieben hatten.
Bergmann hatte 2010 die Kampagne "Sprechen hilft!" initiiert, um Betroffene zu ermutigen, sich an die neu geschaffene Anlaufstelle zu wenden und ihre Forderungen in die Politik einzubringen. In der Folge meldeten sich Tausende, allein 900 Menschen wandten sich bis Mitte 2012 an Bergmann persönlich. 229 dieser Schreiben wurden nun wissenschaftlich ausgewertet.
Aus den Briefen spricht die Erleichterung, dass es endlich eine Stelle gab, an die sich die Menschen wenden konnten. Viele hätten Hoffnungen auf schnelle Hilfen und rechtliche Veränderungen gesetzt, die aber so nicht zu erfüllen gewesen seien, bilanzierte einer der beiden Forscher, der Ulmer Kinder- und Jugendpsychiater, Jörg Fegert, der die Schreiben gemeinsam mit der Freiburger Sozialwissenschaftlerin Barbara Kavemann untersucht hat. Weitere Ergebnisse sollten an diesem Dienstag auf einer Tagung vorgestellt werden.
Der Missbrauchsbeauftragte und Nachfolger Bergmanns, Johannes-Wilhelm Rörig, bilanzierte, das Briefe-Projekt mache deutlich, wie wichtig die Stimmen der Betroffenen seien. Es zeige aber auch, wie zermürbend es sei, wenn Erwartungen enttäuscht würden.
Zwei Drittel der Briefeschreiber und - schreiberinnen waren weiblich und ebenso viele in ihrer Kindheit sexueller Gewalt ausgesetzt. Sie dauerte meist bis zu zehn Jahre (88 Prozent) oder länger. Die Hälfte der Betroffenen wurden als Kinder im familiären Kontext sexuell missbraucht, etwa ein Drittel in Institutionen wie Internaten oder Heimen.