epd: Herr Röhlin, Ihr Buch ist ein philosophisch-literarischer Kurzführer, um den Hoffnungsbegriff einzukreisen. Wieso haben Sie diesen Weg gewählt?
Karl-Heinz Röhlin: Ich wollte zeigen, dass Hoffnung ja nicht nur in der Religion stattfindet, sondern in so vielen Bereichen, von der Poesie bis hin zur Pop-Kultur. Denken Sie an John Lennons "Imagine"; Beethoven hat Schillers "Ode an die Freude" in seiner 9. Sinfonie vertont; oder denken Sie an den Philosophen Ernst Bloch mit seinem "Prinzip Hoffnung" oder an Martin Walsers Buch "Das dreizehnte Kapitel". Darin bezieht sich Walser sogar direkt auf den Korintherbrief. Wer genau hinsieht, merkt, dass Hoffnung in so vielen Gewändern daherkommt. Bereits in der Antike verstanden Platon oder Sokrates ihre Philosophien als Lebenshilfe. Wir wären töricht, wenn wir diese Einsichten nicht miteinbeziehen, wenn wir von Glaube, Hoffnung und Liebe sprechen. Da schöpfen wir aus vielen Brunnen der Weisheit.
Sie sagen, was kommen wird, hängt nicht zuletzt von dem ab, was wir glauben und hoffen: Wie ist das zu verstehen?
Röhlin: Religiöser Glaube immunisiert gegen Ideologien. Daher war der Glaube ja beispielsweise schon bei den Nazis oder in der DDR-Diktatur nicht gerne gesehen. Er hilft aber auch gegen Resignation und befähigt, heute schon selber in kleinen Schritten das zu tun und darauf hinzuwirken, was erwartet wird. Glaube ermutigt demnach zum Handeln. Das gestaltet die Wirklichkeit und verändert letztlich die Welt. Der Philosoph Karl Popper hat es ja schön beschrieben: Die Zukunft ist offen, und es hängt von uns ab, was werden wird.
Sie führen an, die derzeitige Krise habe auch zu neuem Vertrauen in die staatlichen Institutionen geführt. Diesen Eindruck hat man aber nicht, wenn man sich beispielsweise die Querdenker-Bewegung anschaut. Wie kommen Sie darauf?
Röhlin: Die Coronakrise ist ein Stresstest für unsere Demokratie, keine Frage. Da ist es auch für uns Christen wichtig, bürgerliches Engagement zu zeigen und in der Zivilgesellschaft unsere Stimme zu erheben. Verschwörungstheoretikern darf man dabei nicht kommentarlos das Feld überlassen. Vor allem, wenn im nächsten Jahr die Insolvenzen zunehmen werden. Da braucht es ein heißes Herz, kühlen Verstand und eine breite Vernetzung der gesellschaftlichen Gruppen, gemeinsame Lösungen zu finden. Es braucht nicht nur eine breite, sondern auch eine differenzierte Debatte, die auch gerne kontrovers sein darf. Wenn beispielsweise jemand das Infektionsschutzgesetz hinterfragt, darf man diesen nicht in die Querdenker-Ecke stellen. Auch das sollte öffentlich diskutiert werden. Ich halte nichts davon, Menschen Etiketten aufzukleben oder den Schwarzen Peter zuzuschieben, die nicht derselben Meinung sind. Solange die Spielregeln der Menschenwürde und der Demokratie gewahrt bleiben.