Aschaffenburg (epd). Hashem N. schweigt. Der 46-Jährige will zum Prozessauftakt am Donnerstag vor dem Landgericht Aschaffenburg nichts sagen. Die Staatsanwaltschaft wirft dem Syrer vor, im Mai 2017 seine Tochter Mezgin heimtückisch erstochen und die Leiche im Wald verscharrt zu haben. Vermeintlich, "um seine Ehre wiederherzustellen", sagt Oberstaatsanwalt Jürgen Bundschuh bei Verlesung der Anklage. Hashem N., der mit seiner Familie aus Syrien geflüchtet war, sei mit dem "Lebenswandel" Mezgins nicht einverstanden gewesen - vor allem nicht mit ihrer sexuellen Beziehung zu Shekho R.
Bislang 14 Verhandlungstage bis Ende April hat das Landgericht für den Mordprozess angesetzt. Das mediale Interesse ist groß - "Ehrenmord" titelten mehrere Zeitungen bereits vor Beginn des Prozesses. Und schon am ersten Tag offenbaren sich grausame Details zu der Bluttat: Der Angeklagte soll Mezgin am Vormittag des 4. Mai 2017 an deren Schule abgepasst haben, um sie mit nach Hause zu nehmen. Ihr 13-jähriger Stiefbruder saß auf dem Beifahrersitz. Die drei sollen zwei Stunden umhergefahren sein, ehe der Vater das geliehene Auto in ein Waldstück lenkte.
Dort angekommen soll Hashem N. seine Tochter unvermittelt geschlagen und gefesselt haben. Laut der Anklage soll der Mann seinem Sohn ein Messer in die Hand gedrückt und ihm gedroht haben, dass er auch sterben werde, sollte er Mezgin nicht töten. Der Sohn war zum Zeitpunkt der Tat strafunmündig. Wer letztlich die drei tödlichen Stiche auf das Mädchen versetzte, ist bislang nicht geklärt. Noch nicht mal, ob es überhaupt Stiche waren, wie Gerichtssprecher Ingo Krist sagt. Möglicherweise sei Mezgin auch erwürgt worden, denn Stichspuren wurden keine gefunden.
Anschließend soll der Vater den Leichnam der Tochter in einem anderen Wald in einem nicht mehr genutzten Futtersilo versteckt haben. Ein Polizeibeamter skizziert am Donnerstag mehr als drei Stunden die Ermittlungen. Er zeigt eine Präsentation, zu sehen ist ein Video von der Bergung der Leiche: Erst am 9. Dezember 2018 wird Mezgins skelettierte Körper gefunden, der Vater war zu dem Zeitpunkt auf der Flucht, die ihn durch mehrere Länder führte. "Der Täter hat sie wie ein Stück Dreck entsorgt im Futtersilo - so würdelos, wie wir es selten haben", sagte der Beamte.
Nur wenige Tage nach der Tat stand Hashem N. wegen eines anderen Vorfalls vor Gericht: Am 17. Mai 2017 musste sich der Mann wegen gefährlicher Körperverletzung gegen Mezgin aus dem Jahr 2016 verantworten - seine Tochter galt da bereits als vermisst. Das Gericht verurteilte den polizeibekannten Gewalttäter zu neun Monaten Haft, die Strafe sollte er am 2. Juni antreten - am Abend zuvor versuchte er laut der Anklage, Mezgins Freund zu erstechen. Der 23-Jährige Shekho R. konnte schwer verletzt fliehen. Die Staatsanwaltschaft wirft N. versuchten Mord vor.
Auf der Flucht nimmt Hashem N. Kontakt zu Mezgins Mutter auf, von der er getrennt lebt. Sein Handy wird bereits abgehört. "Sie ist so verschwunden wie Salz in kochendem Wasser", soll er über seine Tochter gesagt haben. Viele offene Fragen werden in dem Prozess noch zu klären sein. Etwa die, wie alt Mezgin tatsächlich war. Die Rechtsmedizin geht nämlich davon aus, dass Mezgin zum Tatzeitpunkt kein 16 Jahre altes Mädchen, sondern eine 19- bis 20-jährige Frau war. Mehr als 30 Zeugen will das Gericht hören, außerdem sind auch zwei Sachverständige geladen, hieß es.
Der 46-jährige Angeklagte schweigt unterdessen im Ridingersaal von Schloss Johannisburg, in den das Landgericht den Prozess wegen der Corona-Pandemie verlegt hat. Bis auf eine Hand, mit der er schreiben kann, bleibt er auch während der Verhandlung gefesselt. Es gebe Hinweise aus der Justizvollzugsanstalt, dass der Angeklagte sich "in der öffentlichen Verhandlung etwas antun will". Erst nach einer aufwendigen internationalen Fahndung war Hashem N. in der Türkei festgenommen und im Oktober 2020 nach Deutschland ausgeliefert worden.