Im Gespräch mit dem epd ruft die frühere Münchner evangelische Regionalbischöfin zu mehr positivem Denken und weniger Neiddebatte auf. Breit-Keßler gehört drei weiteren Gremien der Staatsregierung an: dem Dreierrat Grundrechtsschutz, dem Runden Tisch Corona und der Bayerischen Impfkommission.
Susanne Breit-Keßler war viele Jahre lang feste Autorin für chrismon, vor allem mit ihren Kolumnen "Im Vertrauen" und "Mahlzeit". Bis 2019 war sie Regionalbischöfin des evangelischen Kirchenkreises München-Oberbayern. Ihre journalistische Ausbildung absolvierte sie bei der Süddeutschen Zeitung und beim Bayerischen Rundfunk. Mehrere Jahre sprach sie "Das Wort zum Sonntag" in der ARD.
epd: Es werden immer mehr Rufe laut, weitere Berufsgruppen bei der Corona-Impfung vorzuziehen - Lehrer, Erzieher, die Jugendhilfe. Auch Ministerpräsident Markus Söder (CSU) erwägt, die starre Priorisierung zu lockern und etwa übrige Dosen des ungeliebten Impfstoffs Astrazeneca frei zu verteilen. Was halten Sie von der bisherigen Impfordnung, ist sie gerecht?
Susanne Breit-Keßler: Ich denke, wir haben eine gute Impfstruktur. Sie sollte entscheidungsleitend bleiben. Allerdings gibt es leider immer wieder geplatzte Impftermine. Darum braucht jedes Impfzentrum eine Liste von Leuten, die kurzfristig angerufen werden können, damit sie als nächstes zum Impfen kommen. Da müssen wir sehr flexibel werden. Wenn die Hausärzte Impfstoff haben, wird es zackig vorangehen, und auch, sobald die Wirksamkeit von Astrazeneca bei Älteren nachgewiesen ist. Die Impfstoffe überhaupt zu beschaffen ist natürlich entscheidend. Aber wir haben doch beste Perspektiven! Wir brauchen noch ein bisschen Geduld und, bis alle geimpft sind, weiterhin Vorsicht.
Viele Menschen können das nicht mehr hören, sie sind ungeduldig - und manche neiden ihren Mitbürgern die Impfung.
Breit-Keßler: Ich hoffe sehr, dass die Neiddebatte in unserer Gesellschaft bald beendet ist. Mich empört es auch, wenn ich von Impfdränglern höre. Wenn sich jemand mit Beziehungen vorboxt, wo kommen wir denn dann hin? Ich habe mich selbst brav zum Impfen angemeldet. Ich werde warten! Ein bisschen Contenance braucht es schon. Kümmern müssen wir uns um die, die schnell Hilfe brauchen. Aber insgesamt fahren wir doch aus dem Tunnel raus, es geht vorwärts!
Denken Sie nicht, wir kippen noch in eine richtige Neiddebatte, wenn im Alltag erstmal Unterschiede zwischen Geimpften und Nichtgeimpften gemacht werden?
"Geimpfte sollten weiterhin Maske tragen und Abstand halten - aus Solidarität. Wer geimpft ist, sollte dankbar sein und nicht den anderen noch eine Nase drehen."
Breit-Keßler: Wenn jemand geimpft ist, dann muss er seine Grundrechte zurückerhalten. Das sind keine Privilegien, wie man es oft hört, sondern Grundrechte! Trotzdem ist diese Besserstellung nur zu verantworten, wenn erwiesen ist, dass Geimpfte das Virus nicht weiterverbreiten. Außerdem sollten Geimpfte weiterhin Maske tragen und Abstand halten - aus Solidarität. Wer geimpft ist, sollte dankbar sein und nicht den anderen noch eine Nase drehen.
Jenseits der Grundrechte gibt es noch viel schönen Lebensstandard: Flugreisen, Restaurantbesuche...
Breit-Keßler: Privatrechtlich ermöglicht es die Vertragsfreiheit tatsächlich zu differenzieren. Konzertveranstalter etwa dürften einen Nachweis wie negativen Test oder Impfausweis verlangen und sich ihre Gäste entsprechend aussuchen. Der Impfstatus wird vom Diskriminierungsverbot in §3 Grundgesetz nicht erfasst. Private Anbieter dürfen also selbst entscheiden, was sie machen. Das gilt jedoch nicht für basale Bedürfnisse - Nichtgeimpfte dürfen etwa nicht aus Linienbussen oder Drogeriemärkten ausgeschlossen werden. Elementare Teilhabe muss garantiert werden.
Mittelfristig werden Menschen, die sich nicht impfen lassen wollen, in vielen gesellschaftlichen Bereichen das Nachsehen haben. Ist das ethisch vertretbar?
Breit-Keßler: Impfgegner müssen für sich entscheiden: Was bin ich bereit aufzugeben, wenn ich nicht zur Impfung bereit bin? Ich fände es großartig, wenn sich am Ende quasi alle Menschen vom Sinn der Impfung überzeugen und sich ihre Ängste nehmen lassen würden. Mit dem fortschreitenden Impfprogramm können die Freiheitsbeschränkungen für alle allmählich zurückgenommen werden. Das ist doch eine Perspektive!