Berlin (epd). Im Kampf gegen die Corona-Pandemie werden Rufe nach einer gerechten Impfstoffverteilung lauter. Hilfsorganisationen forderten am Donnerstag die Aussetzung von Patentrechten, um Impfstoffe schneller produzieren und günstiger verteilen zu können. Nach Auffassung des Philosophen Julian Nida-Rümelin müssten sich gerade die westlichen Industrienationen stärker darum bemühen. Laut Weltgesundheitsorganisation WHO haben 14 Prozent der Weltbevölkerung in den westlichen Industrienationen sich bislang mehr als die Hälfte des zur Verfügung stehenden Impfstoffes gesichert.
"Die Pandemie ist eine globale Herausforderung, die Steuerung ihrer Bekämpfung ist daher eine Aufgabe der Weltgesellschaft", sagte Nida-Rümelin dem Evangelischen Pressedienst (epd). Derzeit gelte das Prinzip, wer zuerst komme und das meiste Geld auf den Tisch lege, erhalte große Anteile des verfügbaren Impfstoffs.
Gesundheitsexpertinnen des evangelischen Hilfswerks "Brot für die Welt" kritisierten die "deutliche Schieflage". Die Referentin internationale Gesundheitspolitik, Mareike Haase, sagte, Länder mit hohen Einkommen hätten sich so viele Impfdosen gesichert, dass sie ihre Bevölkerung gleich mehrfach durchimpfen könnten. Derweil verfügten 130 arme Länder bislang über keine einzige Impfdosis. Die Ärztin und Beraterin der Partnerorganisationen des Hilfswerks in Gesundheitsfragen, Sonja Weinreich, wies darauf hin, dass Südafrika für den Impfstoff von Astra-Zeneca dem indischen Hersteller mehr zahlen musste als europäische Staaten.
Haase betonte, dass das internationale Impfprogramm Covax massiv unterfinanziert sei und sich die Initiative Covid-19 Technology Access Pool (C-TAP) im "Dornröschenschlaf" befinde. Bei der von Costa Rica vor fast einem Jahr in die Debatte eingebrachten C-TAP-Initiative geht es darum, das Wissen zur Produktion von Impfstoffen, Schutzausrüstung oder anderen für die Pandemiebekämpfung notwendigen Materialien solidarisch zu teilen. Die Initiative Covax, an der die WHO beteiligt ist, bereitet derzeit eine Impfkampagne in Afrika vor.
Die "Brot für die Welt"-Expertinnen setzen nun auf eine Initiative zur Lockerung des Patentschutzes für Impfstoffe und Medikamente gegen Covid-19, die derzeit an Fahrt gewinnt. In der Welthandelsorganisation (WTO) wurde der Vorschlag von Indien und Südafrika bereits diskutiert. Die EU, die USA und andere Industriestaaten lehnen ihn ab, während mehr als 100 ärmere Staaten dafür sind. Konkret geht es darum, allen Ländern zu erlauben, die Durchsetzung des Rechts auf geistiges Eigentum an medizinischen Produkten zur Bekämpfung von Corona auszusetzen. Ähnlich wurde auch vor 20 Jahren im Kampf gegen HIV/Aids verfahren, als das Patentschutzabkommen Trips gelockert wurde.
Reiche Länder argumentieren wiederum, dass eine Lockerung des Patentschutzes einen falschen Anreiz für die pharmazeutische Industrie setze. Die Firmen würden kaum noch in die Entwicklung neuer Medikamente und Impfstoffe investieren, wenn sie keine Patente dafür erhielten. Gesundheitsexpertin Haase sagte hingegen, dass im globalen Medikamentensystem grundsätzlich umgedacht werden müsse, auch weil die nächsten Pandemien schon vor der Tür stünden: Erkenntnisse aus Forschung und Entwicklung müssten in öffentlicher Hand bleiben und Impfstoffe als globales öffentliches Gut allen zur Verfügung stehen.
Die Hilfsorganisation Ärzte ohne Grenzen verlangte, dass gerade die von Mutationen des Coronavirus besonders betroffenen Länder des südlichen Afrika schnellstmöglich wirksame Impfstoffe erhalten müssten. Reiche Staaten, in denen medizinisches Personal und Risikogruppen geimpft seien, müssten ihre Impfstoffe aus bilateralen Vorab-Kaufverträgen schnellstmöglich teilen. Die Entwicklungsorganisation One forderte die reichen Länder zudem auf, Covax stärker zu unterstützen.
epd hei/mey jup