Berlin (epd). Entwicklungsorganisationen, Kirchen und Politik haben mehr Einsatz der Industrienationen für die Versorgung armer Länder mit Corona-Impfstoff gefordert. "Wir besiegen die Pandemie nur weltweit oder gar nicht", sagte Entwicklungsminister Gerd Müller (CSU) am Donnerstag in Berlin anlässlich der Ankündigung des internationalen Impfprogramms Covax, mit der Auslieferung von Impfdosen zu beginnen. Maximal 20 Prozent der Bevölkerung in 92 ärmeren Ländern hätten in diesem Jahr die Chance, geimpft zu werden. Und selbst dafür sei die Finanzierung längst nicht gesichert.
"In so einer Situation ist alles gut, was mehr Menschen schneller zu einer Impfung verhilft", sagte Anne Jung von der Hilfsorganisation medico international. Es stehe aber viel zu wenig Geld zur Verfügung. Auch in Anbetracht der gesundheitlichen und sozioökonomischen Folgen der Pandemie müsse es um Schnelligkeit gehen. Das Problem sieht auch "Ärzte ohne Grenzen". "Es geht nicht nur darum, Impfstoffdosen zu verteilen, sondern die ärmeren Länder in der aktuellen Verteilung genauso zu priorisieren", sagte Sprecher Francesco Segoni. Es brauche von Anfang an eine gerechtere Verteilung.
Müller zufolge fehlen Covax noch rund 25 Milliarden Dollar (etwa 21 Milliarden Euro). Die Weltgemeinschaft, die Europäische Union und private Geber noch stärker an der Finanzierung beteiligen - die EU jetzt mit vier Milliarden Euro. Denn die gleiche Summe hätten die USA angekündigt.
Das Impfstoffprogramm Covax will in Kürze mit der Auslieferung von fast 340 Millionen Dosen gegen Covid-19 an arme Länder beginnen. Insgesamt hat sich Covax zwei Milliarden Impfdosen von fünf Herstellern für das laufende Jahr gesichert. Die erste Verteilungsrunde soll demnach mit dem Impfstoff von Biontech-Pfizer in 18 Ländern erfolgen, von dem zunächst 1,2 Millionen Dosen zugesagt worden seien. Astra-Zeneca will sich Covax zufolge mit 336 Millionen Dosen beteiligen.
Covax mache ein strukturelles Problem deutlich, sagte die medico-Expertin Jung. "Die Industrieländer haben die derzeitige Impfstoffknappheit mitverantwortet." Sie hätten sich gegen Initiativen gestellt, die eine Herstellung an mehr Produktionsstandorten auch in Ländern des Südens ermöglichen wollten, so wie eine Aussetzung der Patente. "Jetzt zahlen sie doppelt." Denn Millionen an öffentlichen Mitteln seien in die Entwicklung der Impfstoffe geflossen. Zugleich müssten die reichen Länder nun aber an Covax spenden, um die ärmeren Länder zu versorgen. "Sie müssen die Misere ausgleichen, die sie politisch geschaffen haben."
Reiche Länder wie die USA, die EU, Japan, Kanada und die Schweiz blockieren seit Monaten eine Initiative von Indien und Südafrika in der Welthandelsorganisation (WTO), der sich zahlreiche weitere Länder des Südens angeschlossen haben, den Patentschutz für Corona-Medizin und -Impstoffe zu lockern. Ungeachtet zunehmender Kritik an dieser Haltung ist die EU-Kommission aber offenbar weiter nicht bereit, nachzugeben. Auf Fragen und Aufforderungen mehrerer Europaparlamentarier hierzu ging EU-Entwicklungskommissarin Jutta Urpilainen am Donnerstag kaum ein. Stattdessen verwies sie auf Covax und die Möglichkeit der EU-Länder, für sich selbst bestellte Impfdosen an Entwicklungsländer zu spenden.
Die Kirchen in Deutschland mahnten derweil ebenfalls einen weltweiten Zugang zu Impfstoffen an. Das können aber nur sichergestellt werden, wenn auch in den Ländern des globalen Südens Produktionskapazitäten genutzt oder erschlossen würden, hieß es in einer gemeinsamen Erklärung der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) und der katholischen Bischofskonferenz.
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