Diese Debatte müsse Perspektiven bieten, die über die theologische Diskussion hinausgingen, und auch andere Disziplinen einbeziehen, schreiben Petra Bahr und Hans Michael Heinig in einem Gastbeitrag in der "Zeit"-Beilage "Christ & Welt". Medizinerinnen und Einrichtungsleitungen, Juristen, Pflegekräfte und Psychologinnen, Fachvertreter aus der Gerontopsychiatrie und Traumaforschung müssten miteinbezogen werden, fordern sie. Bahr ist Mitglied des Deutschen Ethikrats, ihr Ehemann Heinig Professor für Öffentliches Recht, mit Schwerpunkt Kirchenrecht, an der Universität Göttingen.
Bahr und Heinig beziehen sich in ihrem Beitrag auf einen Vorstoß mehrerer evangelischer Autoren, darunter auch des Diakonie-Präsidenten Ulrich Lilie und des hannoverschen Landesbischofs Ralf Meister, die sich in einem Gastbeitrag in der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" für die Möglichkeit der Suizidassistenz auch in diakonischen und kirchlichen Einrichtungen ausgesprochen hatten.
Grundaussagen reichen nicht
Ausgelöst wurde die Debatte durch ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom Februar 2020, das das Verbot organisierter - sogenannter geschäftsmäßiger - Hilfe bei der Selbsttötung kippte, das 2015 vom Bundestag beschlossen worden war. Offiziell lehnen die evangelische und die katholische Kirche die Suizidassistenz ab - unabhängig davon, in welcher Einrichtung sie stattfindet.
Bahr und Heinig kritisieren, dass in der Debatte bislang nicht unterschiedliche Perspektiven aus Theorie und Praxis zusammengeführt würden, sondern "nach Bekenntnissen gefragt" werde: "'Team Lebensschutz' oder 'Team Selbstbestimmung'?" Sie schreiben, sie hätten es befürwortet, wenn schon im vergangenen Sommer eine evangelische, interdisziplinäre Kommission Kernelemente eines Gesetzentwurfs erarbeitet hätte. Sie fordern eine gesetzliche Garantie, "dass Einrichtungen in religiöser Trägerschaft auch die Möglichkeit verbleibt, sich als 'safe spaces' zu definieren, in denen niemand mit Angeboten der Suizidhilfe konfrontiert wird".
Eine kirchliche Positionierung könne nicht bei religiös konnotierten Grundaussagen über Freiheit, Gottesliebe und Würde stehen bleiben. Sie habe sich der ebenso anspruchsvollen wie mühsamen Betrachtung der Details zu stellen, der Lebensumstände, der unterschiedlichen Formen von psychischem und physischem Leidensdruck samt der Bilder vom gelingenden oder nicht mehr gelingenden Leben, die gesellschaftlich und kirchlich eingeübt würden, schreiben Bahr und Heinig.