Da hierzulande alles und jeder statistisch erfasst wird, gibt es sicher auch eine Statistik darüber, wie viele Deutsche eine dunkle Hautfarbe haben. Viele von ihnen sind hier geboren. Im Alltag machen sie jedoch immer wieder die Erfahrung, dass sie trotzdem nicht dazu gehören: weil ihre Mitmenschen ihnen, oft auch nur unbewusst, zu verstehen geben, dass sie anders sind. Auch das Fernsehen trägt seinen Teil dazu bei: Schauspieler mit dunkler Hautfarbe, zumal als Hauptdarsteller, sind in Filmen und Serien derart selten, dass den meisten Zuschauern beim besten Willen kein entsprechender Name einfallen dürfte.
Tilmann P. Gangloff, Diplom-Journalist und regelmäßiges Mitglied der Jury für den Grimme-Preis, schreibt freiberuflich unter anderem für das Portal evangelisch.de täglich TV-Tipps und setzt sich auch für "epd medien" mit dem Fernsehen auseinander. Auszeichnung: 2023 Bert-Donnepp-Preis - Deutscher Preis für Medienpublizistik (des Vereins der Freunde des Adolf-Grimme-Preises).
Tyron Ricketts will das ändern. Der in der Steiermark geborene Sohn einer Österreicherin und eines Jamaikaners ist dank Rollen wie jener als Hotelerbe in der ARD-Reihe "Die Inselärztin" eins der wenigen bekannten Gesichter, die sich im hiesigen Unterhaltungsfernsehen etabliert haben. Seit langem unterstützt er Projekte, die sich gegen rassistische Diskriminierung engagieren. Seine Firma Panthertainment stellt Filme, Serien und Dokumentationen über "People of Colour" her. In den entsprechenden Produktionen wird "Diversität als Normalität gezeigt", wie es auf der Website des Unternehmens heißt. Diese Maxime gilt auch für "Herren", selbst wenn Ricketts diesmal nicht als Produzent beteiligt war.
Hauptfigur Ezequiel ist Capoeira-Meister und hat die brasilianische Kampfsportart viele Jahre lang unterrichtet; bis sein Arbeitgeber in Rente ging und die Leitung der Capoeira-Schule nicht ihm, sondern dem Sohn übergeben hat. Weil Ezequiel nichts anderes gelernt hat, nimmt er einen Job als Fahrer für ein Denkmalschutzunternehmen an; jedenfalls glaubt er das. Tatsächlich ist die kleine Firma von Reynaldo (Komi Togbonou) für die nächtliche Säuberung bestimmter Berliner Toiletten zuständig. Die in Berlin auch als "Café Achteck" bekannten Urinale stammen zwar aus dem 19. Jahrhundert und stehen in der Tat unter Denkmalschutz, aber Klo bleibt Klo. Reynaldo stammt aus Kuba, ist in "Mitte" aufgewachsen und sollte eigentlich in seine Heimat zurück, als die Mauer fiel. Bei einem Besuch im Westteil hat er sich in eine Taxifahrerin verliebt. Jason (Nyamandi Adrian), der Dritte im Bunde, ist zwar waschechter Kreuzberger, hat aber ebenfalls eine dunkle Hautfarbe ("Mama biodeutsch, Vater aus Ghana"), weshalb Reynaldo seine Truppe scherzhaft die "schwarze Nachtbrigade" nennt. Ezequiel kann darüber nicht lachen; er findet es rassistisch, dass drei Schwarze für die Weißen die Drecksarbeit machen müssen.
Das ist im Grunde schon die ganze Geschichte dieses sehr episodisch konzipierten Films. Ezequiel weigert sich zunächst, den Kollegen bei der Reinigung zu helfen, was die beiden natürlich verärgert, aber dann packt er doch mit an. Trotzdem wird er immer unzufriedener, was sich prompt auf die Beziehung zur Marta auswirkt: Sie wirft ihm vor, in einer Fantasiewelt zu leben. Für zusätzlichen Ärger sorgt Sohn Stevie (Pablo Grant): Der Junge hat Abitur, will aber nicht etwa studieren, wie der Vater fordert, sondern eine Ausbildung machen – als Friseur! Ezequiel ist schockiert, und das nicht nur, weil er von Friseuren nicht viel hält; er ist der Meinung, dass man als Schwarzer in einem weißen Land besser sein muss als die anderen, um sich Respekt zu verschaffen.
Dirk Kummer, für sein Brandenburger Jugenddrama "Zuckersand" (2017) mit dem Grimme-Preis ausgezeichnet, hat zuletzt "Warten auf’n Bus" gedreht. In der herausragend guten RBB-Serie ist auch nicht viel passiert; die acht Folgen bestehen überwiegend aus Dialogen zwischen zwei Arbeitslosen, die an einer Bushaltestelle mit Gesprächen über Gott und die Welt die Zeit totschlagen. "Herren" ist nicht viel anders, zumal der ausgesprochen entspannt inszenierte Film ein Thema behandelt, das Menschen jeglicher Hautfarbe kennen: Ezequiel, Mitte vierzig, steckt in einer veritablen Midlife-Krise. In seinem Wohnzimmer stapeln sich Kartons mit den Hinterlassenschaften seiner gescheiterten Geschäftsideen. Frustriert stellt er sein ganzes Dasein in Frage. Das erklärt auch seinen Zorn auf den Sohn, der gefälligst studieren und ein Diplom machen soll, damit er nie in eine ähnliche Lage kommt. Als sich sein Unmut in einer homophoben Aktion gegen Stevies Chef entlädt, ist er auch bei Marta unten durch.
Trotz des gleich doppelt ernsten Hintergrunds ist "Herren" recht kurzweilig. Das liegt neben der überwiegend aus akustischer Gitarre bestehenden Musik (Johannes Repka) vor allem am überraschenden Humor. Dafür sorgen nicht zuletzt die Dialoge zwischen den Mitgliedern der "Nachtbrigade". Reynaldo, stolzer Besitzer eines Schrebergartens – Ezequiel spricht hartnäckig vom "Strebergarten" –, ist zudem fast schon übertrieben gut integriert. Typisch für die Ironie des Films sind die Hits von Roberto Blanco, die in seiner Garage laufen. Unter seinen Gartenzwergen ist auch einer mit schwarzer Hautfarbe; ein Geschenk der anderen Mitglieder der multikulturellen Gartenkolonie. Hier funktioniert im Mikrokosmos, was die Republik insgesamt noch nicht geschafft hat. Aber auch Ezequiel muss seine Vorurteile hinterfragen, als sich ausgerechnet ein Musterdeutscher (Michael A. Grimm) solidarisch zeigt: Unter Nachbarn hilft man sich, ganz egal, welche Hautfarbe jemand hat.