Es ist ein unscheinbarer Flachbau mit großen Fenstern, die den Blick auf einen bunten Innenraum freigeben. Der Platz ist knapp, nur 65 Quadratmeter, voll mit farbenfrohen Stühlen und Tischen, in Regalen liegen Bücher und Spiele. Über der Eingangstür der ehemaligen Sparkassen-Filiale steht in großen Buchstaben "Stadtteilladen", darunter "Kinder und Familien stärken". Der Satz ist Programm. Hier am Mittelkamp im niedersächsischen Bremervörde schlägt das Herz eines Quartiers, das in den 60er und 70er Jahren als Baugebiet "Neues Feld" entstand und mittlerweile als sozialer Brennpunkt gilt.
Sozialer Brennpunkt oder "Problemviertel" - das sind Begriffe, die Pastor Volker Rosenfeld nicht gerne hört. "Ein Stadtteil mit Entwicklungsbedarf und Chancen", nennt der evangelische Theologe das Umfeld des Ladens, den er 2014 gegründet hat. Das Zentrum ist ein Beispiel für viele ähnliche Projekte in ganz Deutschland, eine genaue Zahl ist nicht bekannt. Doch Initiativen wie der Leuschnertreff in Emden, die Kindertafel in Lüneburg, "NahE" in Freiburg, das Projekt "Jedes Kind braucht einen Engel" in Osnabrück oder das "Comenius"-Nachbarschaftszentrum in Ludwigshafen verbindet eines: Sie arbeiten für die Bedürfnisse der Menschen im Kiez. Ganz nah dran.
Abgehängt im Homeschooling
Auch in Corona-Zeiten hält Almut Schmidt, pädagogische Leiterin des Stadtteilladens in Bremervörde, die Türen auf. Sie hilft bei Anträgen, sucht für Familien nach größeren Wohnungen und zahlt gelegentlich aus Spenden einen Einkauf, wenn Kühlschrank und Portemonnaie leer sind. Bei alldem setzt sie auf die Zusammenarbeit mit Behörden, Diakonie und Schulen. "Gruppenangebote kann es leider nicht geben", sagt sie, "aber wir bieten weiter Hausaufgabenhilfe an, genauso wie Beratungen und Einzelfallhilfen."
Das ist dringend nötig, denn Kinder wie die elfjährige Maryam, die mit ihrer Familie 2015 aus Syrien nach Deutschland gekommen ist, drohen im Homeschooling abgehängt zu werden. "Die Kinder müssen sich alles alleine erarbeiten, Geräte fehlen und sie haben zu Hause kein ruhiges Plätzchen, wo sie arbeiten können - das erlebe ich in vielen Familien", sagt Almut Schmidt. So unterstützt die Diakonin gerade viel über WhatsApp und vergibt jeweils einstündige Termine im Laden, um Hausaufgaben zu begleiten.
Stabilisierung sozialer Verhältnisse
"Erst mal eine Runde Hände waschen", ruft sie gleich nach einer fröhlichen Begrüßung Maryam zu, die diesmal mit ihren Biologie-Aufgaben gekommen ist. Es geht um das Skelett: Wo ist das Schlüsselbein, der Oberarmknochen, die Kniescheibe, wozu ist die Wirbelsäule gut? "Wenn ich etwas falsch mache, hilft mir Almut", sagt Maryam. Die Fünftklässlerin freut sich über Unterstützung. Aber am liebsten, sagt sie, würde sie zur Schule gehen, was gerade aufgrund der Corona-Beschränkungen nicht geht.
Das "Neue Feld" wurde in einer Zeit der Wohnungsknappheit errichtet und von Alt-Bremervördern anfangs als "Känguruviertel" denunziert ("da wohnen Leute, die wollen große Sprünge machen und haben nichts im Beutel"). Mittlerweile leben hier viele Eingewanderte oder ihre Kinder und Enkel. Trister Geschosswohnungsbau, mächtig in die Jahre gekommen. Auch viele Alleinerziehende und Ältere seien hier zu Hause, erläutert Bremervördes Erste Stadträtin Silke Fricke. In diesen Nachbarschaften habe der Stadtteilladen mit seinen Hilfs- und Beratungsangeboten eine zentrale Funktion. Er wirke präventiv, stabilisiere die sozialen Verhältnisse im Quartier.
Förderung auf Zeit
Derzeit fördern deshalb unter anderen die Stadt und die Landesarbeitsgemeinschaft Soziale Brennpunkte in Niedersachsen das Projekt. Aber Geld gibt es immer nur befristet - wieder ein Punkt, der bei vielen Initiativen dieser Art in ganz Deutschland gleich ist und der vor allem Unsicherheit bedeutet. Daran ändern auch die mancherorts eingesetzten Mittel etwa der Städtebauförderung aus dem Programm "Sozialer Zusammenhalt" wenig. So wirbt in Bremervörde Geschäftsführer Volker Rosenfeld immer wieder bei Institutionen und Stiftungen für den Stadtteilladen - bisher mit Erfolg.
"Solche Projekte können nur in guter Zusammenarbeit mit anderen Akteuren gelingen und etwas bewegen", sagt Jörg Stoffregen, Sprecher des Bundesnetzwerkes für Gemeinwesendiakonie und Quartiersentwicklung. So funktioniere auch der Stadtteilladen in Bremervörde, hat er beobachtet und ist des Lobes voll: "Super, wie die sich auf den Weg gemacht haben."
Normalerweise gehen viele Ehrenamtliche im Laden ein und aus. Es wird gekocht, gebastelt, geklönt, es gibt Gruppenausflüge und Nachbarschaftsfeste. Doch "normal" ist gerade wenig - Corona verunsichert viele Menschen. "Das ändert sich wieder", sagt Leiterin Almut Schmidt. Sie blickt hoffnungsvoll in die Zukunft. Und ja, sie wisse, dass sich die prekäre Situation im "Neuen Feld" durch den Laden nicht grundsätzlich ändern lasse: "Aber ich kann etwas voranbringen, positive Momente schaffen, einen sicheren Ort der Begegnung anbieten."