Göttingen (epd). Der Corona-Lockdown mit geschlossenen Kitas und leeren Klassenzimmern schadet nach Ansicht des Göttinger Hirnforschers Gerald Hüther langfristig der Entwicklung von Kindern. "Die betroffenen Kinder müssen ihre ureigensten Bedürfnisse unterdrücken, um diese Situation auszuhalten", sagte der Neurobiologe und Bildungsforscher dem Evangelischen Pressedienst (epd). "Es kann nichts Gutes dabei herauskommen, wenn wir ihnen dauerhaft Zuwendung entziehen, das Spielen mit Freunden vorenthalten und die Nähe zur Oma entziehen."
Für eine gesunde Entwicklung seien diese Aspekte für Kinder nahezu genauso wichtig, wie Nahrung, verdeutlichte Hüther. "Außerdem wollen Kinder zeigen, dass sie was draufhaben - und sei es nur, dass sie am höchsten auf den Baum klettern können." Je länger die Lockdown-Phase andauere, desto wahrscheinlicher bildeten sich bei den Kindern hemmende Verschaltungen in den Motivationszentren, warnte der Hirnforscher. So könne beispielsweise die Motivation verloren gehen, die eigene Oma zu besuchen. "Am Ende ist die Oma vielleicht keine wichtige Begleitperson mehr für den Rest des Lebens. Wollen wir das?"
Selbst wenn Kinder sich augenscheinlich gut in die Situation fügten, dürfe niemand dem Trugschluss unterliegen, es gehe ihnen gut, warnte Hüther. "Wir zeigen sie als vermeintlich gute Beispiele und brave Kinder vor. Doch wer Bedürfnisse unterdrückt, der sucht sich Ersatzbefriedigungen." Konkret sei zu beobachten, wie immer mehr Kinder fettleibig würden. "Früher hieß so was Fernsehen und Snacks futtern, heute ist noch das Rummachen im Internet dazugekommen."
Gerade jetzt müssten Eltern lernen, sich selbst zu stärken. Das heiße nicht, dass jemand dafür seine Kinder wegschieben müsse. Vielmehr sollten die Erwachsenen in sich hineinhören und sich fragen, was sie gerade wirklich brauchten, verdeutlichte Hüther. Daraus ergebe sich nahezu zwangsläufig ein natürliches Interesse, das den Kindern Aufmerksamkeit schenke: "Möchte ich jetzt zwingend noch eine Überstunde machen, damit das Projekt fertig wird oder will ich vielleicht zu meinem Kind, was mit mir spielen möchte? Es ist nicht gut, immer nur zu versuchen zu funktionieren."