Frankfurt a.M., São Paulo (epd). Die brasilianische Regierung stützt sich bei der Verfolgung von Kritikern ihrer Corona-Politik auf Gesetze aus der Diktaturzeit. Zu diesem Schluss kommt ein Bericht der Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch, der am Donnerstag in São Paulo veröffentlicht wurde. Seit Juni habe die Bundespolizei Ermittlungen gegen mindestens vier Regierungskritiker nach dem Nationalen Sicherheitsgesetz von 1983 aufgenommen. Zudem hätten Regierungsmitglieder zur juristischen Verfolgung eines Richters des Obersten Gericht und zweier Journalisten aufgerufen. Während der Militärdiktatur (1964-1985) wurden mehr als 400 Menschen aus politischen Gründen ermordet und Hunderte inhaftiert und gefoltert.
Das Nationale Sicherheitsgesetz garantiere hochrangigen Regierungs- und Militärangehörigen besonderen Schutz ihres Rufs, erläuterte der Amerika-Direktor der Organisation, José Miguel Vivanco. "In einer Demokratie, die die Meinungsfreiheit schützt, sollte die Öffentlichkeit aber in der Lage sein, Funktionäre zu kritisieren und zu überprüfen." Den Angeklagten drohen demnach Haftstrafen von bis zu vier Jahren.
Brasiliens Präsident Jair Bolsonar steht weltweit wegen seiner Corona-Politik in der Kritik. Er hat die Pandemie über Monate geleugnet und stellt sich bis heute gegen die Anstrengungen der Gouverneure, die Krise zu überwinden. Das Land verzeichnet mit über 220.000 Toten nach den USA die meisten Opfer der Pandemie. Derzeit herrscht vor allem in der Amazonas-Metropole Manaus der Notstand.
Die beiden Journalisten, zu deren Anklage Justizminister André Mendonça aufgerufen hatte, hatten auf den sozialen Netzwerken einen Cartoon über Präsident Bolsonaro geteilt. Der Richter, der laut Verteidigungsminister Fernando Azevedo e Silva angeklagt werden sollte, hatte dem Gesundheitsministerium Tatenlosigkeit in der Corona-Krise vorgeworfen. Gegen einen Anwalt und einen Autor hat die Staatsanwaltschaft wegen Kritik gegen Bolsonaros Politik in der Pandemie auf Grund des Nationalen Sicherheitsgesetzes Ermittlungen aufgenommen. Auch in zwei weitern Fällen rief der Justizminister zur strafrechtlichen Verfolgung von Journalisten auf.