Tatsächlich gelingt es Timo Berndt, der die Reihe nach dem Auftakt ("Der letzte Kronzeuge - Flucht in die Alpen", 2014) von Stefan Rogall übernommen hat, auf verblüffende und dennoch plausible Weise, aus Tätern Opfer und aus Opfern Täter zu machen.
Tilmann P. Gangloff, Diplom-Journalist und regelmäßiges Mitglied der Jury für den Grimme-Preis, schreibt freiberuflich unter anderem für das Portal evangelisch.de täglich TV-Tipps und setzt sich auch für "epd medien" mit dem Fernsehen auseinander. Auszeichnung: 2023 Bert-Donnepp-Preis - Deutscher Preis für Medienpublizistik (des Vereins der Freunde des Adolf-Grimme-Preises).
Die Handlung beginnt mit einem Anschlag: Wenige Tage, bevor der chinesische Investor Mian Chen (Vu Dinh) das Werk seines vor drei Jahren bei einem Unfall ums Leben gekommenen Vaters vollenden und mit seiner Unterschrift ein Großprojekt im Hamburger Hafen besiegeln will, erfüllt er den Wunsch seiner kleinen Tochter: Das Mädchen möchte einen Strauß Vergissmeinnicht am Unfallort ablegen. Das Auto von Chen senior ist damals ins Wasser gestürzt, weil die Fahrerin, eine Personenschützerin des LKA, unter Drogen stand; sie liegt seither im Koma und wird nicht mehr aufwachen. Kein Wunder, dass Chen junior kein Vertrauen ins LKA hat und seinen Schutz lieber dem früheren Polizisten Stölzer (Max Simonischek) anvertraut. Als ein Scharfschütze erst auf Chen, seine Tochter und die Übersetzerin Marie (Anna Unterberger) schießt und dann einen in einem ferngesteuerten Spielzeugboot versteckten Sprengsatz zündet, ist es jedoch Sarah Kohr, die das Trio rettet. Sie weiß auch, wer hinter dem Anschlag steckt: Ihr Ex-Kollege Lanz (Sebastian Blomberg), früher mal SEK-Mitglied und Elite-Polizist, war damals gemeinsam mit ihr und der Fahrerin für den Schutz des alten Chen zuständig. Während Broschke (Julika Jenkins) davon ausgeht, dass militante Umweltaktivisten das Attentat in Auftrag gegeben haben, um das Hafenprojekt zu verhindern, vermutet Kohr, dass Lanz ein persönliches Motiv hat. Außerdem macht er nicht den Eindruck eines skrupellosen Killers; aber welchen Grund könnte er haben, Chens Sohn zu töten?
Regisseur Bruno Grass hat mit "Verliebt in Masuren" (2018) eine sehr sympathische Komödie über eine deutsch-polnische Romanze zwischen einem pensionierten Kapitän und seiner resoluten Pflegekraft gedreht, aber seine Beiträge zur ARD-Reihe "Kommissar Dupin" waren zuletzt wenig fesselnd. Mit dem zweiteiligen "Mordkommission Istanbul"-Thriller "Im Zeichen des Taurus" (2016) hat er allerdings bewiesen, dass er durchaus in der Lage ist, Spannung selbst über 180 Minuten hochzuhalten. Für "Schutzbefohlen" gilt das auch dank der Bildgestaltung (wie zuletzt Tobias Schmidt) und der Thriller-Musik (Alex Komlew) nicht minder. Lisa Maria Potthoff hat sich ihre Rolle ohnehin wie eine zweite Haut übergestreift, zumal sich selbstredend auch Grass zunutze macht, dass er mit seiner Hauptdarstellerin dank deren Geübtheit in der Selbstverteidigungstechnik Krav Maga packende Actionszenen inszenieren kann. Die Zweikämpfe, die sich Kohr mit Lanz liefert, sind für einen TV-Krimi ziemlich gut choreografiert und außerdem mehr als bloß Selbstzweck, zumal der Ex-Kollege sie sogar rettet, als sie in die Tiefe stürzt. Die Aktion widerspricht nur scheinbar jeder Logik: Lanz will, dass sie am Leben bleibt, weil er weiß, dass sie die richtigen Fragen stellt; aber welche?
Berndt, der seit einigen Jahren auch alle Drehbücher für die ZDF-Reihe "Die Toten vom Bodensee" schreibt, hat seine Geschichte bis ins Detail sehr clever konzipiert: Weil Lanz als ehemaliger Polizist natürlich weiß, wie die Ex-Kollegen vorgehen werden, kann Kohr ihn nur austricksen, wenn sie ihm zwei Schritte voraus ist. Selbst ihr Besuch bei einem vermögenden Reeder (Michael Hanemann), der das Hafenprojekt inklusive Elbvertiefung um jeden Preis verhindern will, ist mehr als bloß das obligate Ablenkungsmanöver, das in keinem Reihenkrimi fehlen darf; und so stößt die Polizistin schließlich auf ein Komplott, das jedoch keineswegs Mian Chen gilt. Zu einem rundum gelungenen Film wird "Schutzbefohlen" durch die Besetzung der Episodenhauptrollen. Max Simonischek zum Beispiel ist schon allein wegen seiner Körpergröße und seiner düsteren Präsenz grundsätzlich ein Gewinn für Filme, in denen sich die Figuren in einer Grauzone bewegen.