München/Berlin (epd). Am Gesetzentwurf des Bundeskabinetts zur Aufnahme von Kinderrechten ins Grundgesetz gibt es harsche Kritik. Der Entwurf falle "weit hinter die Grundprinzipien der UN-Kinderrechtskonvention zurück", sagte Kinderrechts-Expertin Luise Pfütze von der Organisation SOS-Kinderdorf dem Evangelischen Pressedienst (epd). Durch die vorgesehene Formulierung von Bundesjustizministerin Christine Lambrecht (SPD) würden die Kinderrechte "nicht gestärkt, sondern möglicherweise sogar geschwächt", moniert sie. Pfütze leitet die politische Arbeit von SOS-Kinderdorf (Sitz: München) auf Bundesebene.
Das Bundeskabinett hatte am Mittwoch den Gesetzentwurf gebilligt, demzufolge Artikel 6 Absatz 2 des Grundgesetzes ergänzt werden soll. Pfütze - wie auch Vertreter anderer Kinderrechtsorganisationen und der Opposition - kritisiert daran, dass darin der Vorrang des Kindeswohls fehlt. In Lambrechts Formulierung soll das Kindeswohl lediglich "angemessen" berücksichtigt werden, nicht aber "vorrangig". "Das ist eine Leerformel", sagte Pfütze dem epd. Der Kindeswohlvorrang sei eines der Kernelemente der UN-Kinderrechtskonvention, die Deutschland 1992 ratifiziert habe.
Zudem nehme der Entwurf das Recht von Kindern auf Beteiligung nicht auf, moniert Pfütze. Die vorgesehene Formulierung, dass ihr Anspruch auf "rechtliches Gehör" zu wahren sei, bleibe ebenfalls weit hinter der UN-Konvention zurück. Diese spricht Kindern das Recht zu, "dass ihre Meinung in allen sie berührenden Angelegenheiten berücksichtigt wird", sagt Pfütze. Dagegen betoniere Lambrechts Engführung "bestenfalls nur den Status quo", denn einen Anspruch auf rechtliches Gehör hat laut Grundgesetz bereits jeder Bürger.
Dass der Kabinettsentwurf so schwach sei, liegt laut Pfütze mit "an einer starken paternalistischen Haltung in Teilen der Gesellschaft und Politik". Man wolle Kinder nicht als Experten für ihr Lebensumfeld anerkennen, es mangele an Vertrauen. "Es herrscht zu oft noch die Einstellung: Am Ende wissen doch die Erwachsenen, was gut und richtig für die Kinder ist", kritisiert Pfütze. Sie fordert, dass explizite Kinderrechte im Grundgesetz nicht fehlen dürfen. Dieses sei "das juristische Fundament unserer Gesellschaft". Zudem sei die Verankerung ein "Signal an die Gesellschaft".
In Deutschland wird seit Jahrzehnten über die Aufnahme der Kinderrechte in die Verfassung diskutiert. Die aktuelle Bundesregierung hat sich das Vorhaben erstmalig in den Koalitionsvertrag geschrieben. Der Kabinettsentwurf geht nun ins parlamentarische Verfahren. Über die Grundgesetzänderung müssen Bundestag und Bundesrat abstimmen, benötigt wird dafür eine Zwei-Drittel-Mehrheit.