Göttingen (epd). Der Göttinger Angstforscher Borwin Bandelow geht davon aus, dass die Menschen auch die neuen strengeren Corona-Einschränkungen psychisch gut verkraften können. "Viele hatten beim ersten Lockdown mit mehr Depressionen, Ängsten und Suiziden gerechnet. Doch das ist ausgeblieben", sagte er dem Evangelischen Pressedienst (epd). In Nordrhein-Westfalen sei die Zahl der Suizide sogar zurückgegangen. Das Phänomen sei in Krisenzeiten oft zu beobachten. Am Dienstagabend hatten Bund und Länder den geltenden Lockdown bis zum 14. Februar verlängert und Vorgaben etwa bei der Maskenpflicht und beim Homeoffice verschärft.
Der Lockdown mit seinen Beschränkungen führe dazu, dass die Menschen sich langweilten, vielleicht auch niedergeschlagen oder traurig seien, sagte Bandelow, Professor für Psychiatrie und Psychotherapie an der Universität Göttingen. "Das wird aber nicht zwingend als dramatisch empfunden. Das liegt daran, dass Menschen flexibel und anpassungsfähig sind." Die Lebensfreude und Lebensqualität müsse nicht verloren gehen, sondern verlagere sich. Die Menschen sollten nur nicht den Fehler begehen, das derzeitige Leben ständig mit dem Leben vor Corona zu vergleichen. "Das tut nicht gut."
Die meisten Menschen haben sich dem Forscher zufolge mit den Einschränkungen überwiegend arrangiert. "Sie werden erfinderisch. Viele halten über digitale Medien den Kontakt zu Freunden, musizieren gemeinsam über Videos oder verabreden sich zum gemeinsamen Spazierengehen." Es gelte, attraktive Alternativen zu finden. So könne ein Abendessen zu dritt oder zu viert interessanter sein, als zusammen mit zehn Leuten an einem Tisch zu sitzen. "Sie kommen besser ins Gespräch und können sich viel intensiver kennenlernen."
Dennoch: Inzwischen kenne fast jeder jemanden mit einem schweren Krankheitsverlauf, sagte der Mediziner. "Das mulmige Gefühl nimmt zu, von der Krankheit doch noch vor der Impfung erwischt zu werden." Bandelow riet zu einem "gesunden Fatalismus". Menschen sollten auf ihr "Vernunft-Gehirn" hören: "Das sagt: Ja, du könntest Corona bekommen, aber nach einigen Tagen auch wieder fit sein."
Echte Sorge bereitet Bandelow dagegen die mangelnde Impfbereitschaft des Personals in Altenheimen. In manchen Häusern liege die Bereitschaft, sich impfen zu lassen, bei lediglich 25 Prozent. Er selbst impfe als freiwilliger Helfer Krankenpflegepersonal.
Das größte Problem sei die Unwissenheit, resümierte Bandelow. Immer wieder fragten ihn Impflinge, ob der Impfstoff wirklich sicher sei. "Die Furcht vor neuen, unbekannten Gefahren ist viel größer als die Angst vor bekannten Gefahren."