Dass die zwei von der Bundespolizei überhaupt auf der Insel sind, ist der Bekanntschaft zwischen Falke und einer investigativen Journalistin zu verdanken. Der Hauptkommissar hatte vor lange Zeit mal eine "kurze wilde Affäre" mit Imke Leopold (Franziska Hartmann), die sich nach einer besonders zermürbenden Recherche ins Haus ihrer verstorbenen Großmutter zurückgezogen hat.
Sie ist auf Norderney aufgewachsen, die Insel liegt ihr am Herzen, deshalb kann sie auch während der Auszeit nicht aus ihrer Haut: Sie fürchtet, dass ihrer alten Heimat der Ausverkauf droht. Der Gemeinderat hat einer international aktiven Investmentgruppe mitten in den Dünen ein höchst attraktives Baugrundstück überlassen; dort sollen Ferienwohnungen entstehen. Imke wittert Korruption und prophezeit, dass es Norderney ähnlich ergehen werde wie vielen Großstadtvierteln, wo die alten Mieter verdrängt werden. Ein Makler, der sie über die Vorgänge informiert hat, ist ermordet worden, sie selbst wurde Opfer eines Überfalls.
Tilmann P. Gangloff, Diplom-Journalist und regelmäßiges Mitglied der Jury für den Grimme-Preis, schreibt freiberuflich unter anderem für das Portal evangelisch.de täglich TV-Tipps und setzt sich auch für "epd medien" mit dem Fernsehen auseinander. Auszeichnung: 2023 Bert-Donnepp-Preis - Deutscher Preis für Medienpublizistik (des Vereins der Freunde des Adolf-Grimme-Preises).
Die Handlung klingt nicht weiter ungewöhnlich; in sämtlichen Inselkrimireihen geht es über kurz oder lang auch mal um Grundstücksspekulationen und böse Bauherren, die die schöne Gegend mit Betonklötzen verschandeln wollen. Für Falke und Grosz ist dieser Fall jedoch durchaus atypisch, schließlich lagen ihre Aufgaben bislang ganz woanders.
Falkes persönlicher Bezug gibt dem Film natürlich einen besonderen Reiz, zumal Imke offenkundig nicht abgeneigt ist, da weiterzumachen, wo die beiden damals aufgehört haben, was von Grosz misstrauisch beobachtet wird - nicht aus Eifersucht, sondern weil sie es höchst unprofessionell fände, Beruf und Privatleben auf diese Weise miteinander zu vermischen. Dass Imke dem Ermittlerduo nicht von der Seite weicht und bei allen Befragungen dabei sein will, nervt sie ohnehin.
Für Franziska Hartmann, zuletzt unter anderem sehr intensiv in dem Drama "Sterne über uns" (ZDF, 2020) als Mutter, die mit ihrem Sohn in den Wald zieht, ist das eine tolle Rolle: Die Journalistin ist eine äußerst vielschichtige Figur, die stets das Extreme sucht (das Drehbuch von David Sandreuter basiert auf einer Vorlage von Arne Nolting und Jan Martin Scharf).
Der Reiz von "Tödliche Flut" liegt daher fast weniger im eigentlichen Fall, sondern im Umgang der drei Hauptfiguren miteinander: Grosz ist von Anfang an skeptisch, und auch Falke fragt sich mehr und mehr, ob Imke Fakten und Fiktion vermischt. Als Zuschauer hat man diese Ahnung allerdings von Anfang an, zumal Regisseur Lars Henning seine Episodenhauptdarstellerin in einem Graubereich zwischen Wahn und Wirklichkeit inszeniert. In einigen Einstellungen wirkt Imke wie eine düstere Märchenfigur und ansonsten wie jemand, der sich als einziger Zeuge einer Verschwörung wähnt.
Die eigentliche Handlung folgt dagegen den üblichen Krimikonventionen: Falke und Grosz nehmen sich den Bürgermeister (Veit Stübner) vor, befragen die heimliche Geliebte des Mordopfers und finden raus, dass deren Mann einst ebenfalls mit Imke liiert war. Weitaus interessanter als dieses wenig originelle Muster ist die Idee, dass die Suche nach dem ominösen Unbekannten, der hinter dem internationalen Investmentkonzern steckt, zurück auf die Insel führt.
Auch die Umsetzung ist nur bedingt spannend. Regisseur Lars Henning hat bislang zwar nur wenige, aber ausnahmslos sehenswerte Filme gedreht, allen voran das Kinodrama "Zwischen den Jahren" (2017) mit Peter Kurth als Mörder, der nach verbüßter Haftstrafe von seiner Vergangenheit eingeholt wird. Auch seine für den Hessischen Rundfunk entstandenen Fernseharbeiten waren besonders, darunter ein "Tatort" ("Der Turm", 2018) über mysteriöse Vorgänge in einem Bürohochhaus.
Das Bemerkenswerteste an "Tödliche Flut" ist im Grunde die klassische Filmmusik von Stefan Will und Peter Hinderthür, die von der NDR Radiophilharmonie mit großem Orchester eingespielt worden ist und immer wieder markante akustische Akzente setzt. Das gibt gerade den Norderney-Bildern eine besondere Note und lässt die ohnehin frühwinterlich frostige Insel stellenweise recht bedrohlich wirken, was vor allem Falkes Gemütszustand widerspiegelt: Auf dem Eiland ist jeder irgendwie mit jedem verbandelt; seine ganze Erfahrung als Großstadtpolizist hilft ihm hier nicht weiter. Als der Film zum Finale seinem Titel gerecht wird, muss er gar fürchten, nie wieder aufs Festland zurückzukehren.