Dass an der Mehrzahl der Filme Kennels bevorzugte Kamerafrau Nathalie Wiedemann beteiligt gewesen ist, dürfte daran großen Anteil haben. Auf der anderen Seite sind trotz des festen Personals vor und hinter der Kamera keinerlei Abnutzungserscheinungen zu erkennen, im Gegenteil: Dank der wechselnden Autoren ergeben sich auch zwischen den Ermittlern immer wieder neue spannende Entwicklungen.
Tilmann P. Gangloff, Diplom-Journalist und regelmäßiges Mitglied der Jury für den Grimme-Preis, schreibt freiberuflich unter anderem für das Portal evangelisch.de täglich TV-Tipps und setzt sich auch für "epd medien" mit dem Fernsehen auseinander. Auszeichnung: 2023 Bert-Donnepp-Preis - Deutscher Preis für Medienpublizistik (des Vereins der Freunde des Adolf-Grimme-Preises).
Das betrifft diesmal vor allem den damaligen Chef: Arne Brauner (Martin Brambach), trockener Alkoholiker, hat einen Rückfall, baut einen nächtlichen Unfall und erkauft sich das Schweigen des anderen Autofahrers mit 1.000 Euro. Dies ist der erste großartige Einfall des Autorenduos Daniel Schwarz und Thomas Schwebel, denn wenig später wird ein Mann festgenommen, der angeblich seinen achtjährigen Sohn ermordet hat. Eigentlich hat dieser Jürgen Lohmann (Hinnerk Schönemann) das beste Alibi, das man sich wünschen kann, denn er war Braunes Unfallgegner; doch der würde mit dem entsprechenden Geständnis seine Karriere aufs Spiel setzen und zieht es vor zu schweigen.
Schon allein dieses Dilemma sorgt für eine enorme subtile Spannung und gibt dem wunderbaren Martin Brambach die Gelegenheit, der sonst meist väterlich-freundlichen Figur des Revierleiters neue Facetten abzugewinnen. Davon abgesehen stehen natürlich auch die anderen Mitglieder des Teams unter enormem Druck, zumal Schwarz und Schwebel für einen zweiten Knüller sorgen: Während Winter & Co noch überzeugt sind, mit Lohmann, der acht Jahre zuvor wegen eines ähnlichen Falls angeklagt war, den richtigen Täter zu haben, erlebt dessen am Boden zerstörte Ex-Frau (Marie Leuenberger) bei der Identifizierung des Leichnams einen weiteren Schock: Der tote Junge ist nicht ihr Sohn.
Nun müssen die angesichts dieses furchtbaren Fehlers konsternierten Ermittler wieder von vorn anfangen: Bei der Suche nach dem kleinen Sascha kommt es angesichts nächtlicher Temperaturen von bis zu minus 15 Grad auf jede Minute an. Dank der internationalen Vernetzung finden sie zwar recht rasch raus, um wen es sich bei dem toten Jungen handelt, den Kinder im Sandkasten eines Spielplatzes gefunden haben; aber es gibt keinerlei Anhaltspunkte, wer sein Mörder ist.
Die fast skandinavisch anmutende Bildsprache, auch das ein Merkmal der Reihe, ist mindestens so faszinierend wie die ausgezeichnete Führung der exzellenten Darsteller. Allein die Tatsache, dass ein gefragter Schauspieler wie Hinnerk Schönemann in einer vergleichsweise kleinen Rolle mitwirkt, ist ein klarer Hinweis auf den guten Ruf von "Unter anderem Umständen".
Auch Ingo Naujoks hat einen markanten Gastauftritt. Trotz des eindrucksvollen Ensembles und des herausragenden Handwerks: Letztlich ist es naturgemäß die Geschichte, die den Film so faszinierend macht, zumal Schwarz und Schwebel immer wieder unerwartete Überraschungen zu bieten haben.
Im Anschluss wiederholt Neo die nicht minder sehenswerte Episode "Tod eines Stalkers" (2016). Auch dieser zwölfte Film der Reihe basiert auf einem brillanten Drehbuch. Ihre Geschichte ist schon deshalb faszinierend, weil Jana Winter die Kontrolle verliert; erst über sich selbst und dann über die Ereignisse. Hilflos muss sie schließlich erkennen, dass sie das Opfer eines perfiden Plans geworden ist.
Die Handlung beginnt mit einem Attentat: Ein Unternehmer (Eckhard Preuß) wird von einem Heckenschützen schwer, aber nicht lebensgefährlich verletzt. Gleichzeitig stellt Winter einen Mann (Jan Georg Schütte) zur Rede, der sie und ihren Sohn Leo auf dem Weg zur Schule verfolgt: Schrotthändler Ricky Rehberg beschuldigt sie, seine Frau und seine Tochter auf dem Gewissen zu haben, und kündigt an, er werde an Leo Rache nehmen. Als sie kurz drauf mitten in der Nacht einen Anruf bekommt, bei dem im Hintergrund Leos Hilferufe zu hören sind, muss sie annehmen, dass der Junge von Rehberg entführt worden ist.
Die Kommissarin rast zum Schrottplatz, wo sie zwar nicht ihren Sohn, aber den erschossenen Rehberg findet. Weil Leo derweil wohlbehalten daheim in seinem Bett liegt, hat die Polizistin nun ein Problem. Eine Vielzahl von Indizien lässt nur einen Schluss zu: Sie hat Rehberg regelrecht hingerichtet; die Hülse, die neben der Leiche gefunden wird, stammt aus ihrer Waffe.
Als sich dann noch rausstellt, wer die internen Ermittlungen leiten wird, lässt Winter alle Hoffnungen fahren: Kriminaldirektor Voss (Johannes Zeiler) hat einst seinen Job als Dozent an der Polizeihochschule verloren, weil sie ihn wegen sexueller Belästigung angezeigt hat. Voss versichert zwar, er sei weder befangen noch nachtragend, sorgt aber dafür, dass die Kommissarin in Untersuchungshaft gesteckt wird, wo sie als Polizistin prompt Ärger mit anderen Gefangenen bekommt.
Sie ahnt zwar, dass Rehberg bloß eine Marionette war und irgendjemand ein geniales Komplott gegen sie eingefädelt hat, ist hinter Gittern aber natürlich machtlos, bis sie unerwartete Hilfe bekommt: Ausgerechnet ein von ihr selbst eingebuchteter charismatischer Berufsverbrecher (Felix von Manteuffel) sorgt dafür, dass sie fliehen kann; und nun wird auch klar, welchen Bezug das Attentat vom Anfang zu Jana Winter hat.
Die handlungsreiche Geschichte ist großartig und von Kennel mit einer imposanten Dichte umgesetzt worden. Die Musik von Jean-Paul Wall sorgt dafür, dass der Thriller auch in den wenigen Ruhephasen fesselnd bleibt, aber da ständig was passiert, gibt es ohnehin praktisch keinerlei Entspannung. Endgültig herausragend und fast zu gut für einen Reihenkrimi wird "Tod eines Stalkers" durch die Idee, den Bogen zu Winters Premierenfall zu schlagen, als sie, selbst hochschwanger, den Mord an einem Säugling aufklären musste.