Latzel setzte sich im ersten Wahlgang mit 113 von 190 Stimmen gegen den aus Bayern stammenden Theologieprofessor Reiner Knieling (57) und die Superintendentin des Kirchenkreises An Sieg und Rhein, Almut van Niekerk (53), durch. Latzel sagte in seiner Vorstellungsrede, er brenne für die evangelische Kirche als weltoffene Gemeinschaft mit einem freien Glauben, der mit einer hohen sozialen Verantwortung einhergehe: "Unsere Aufgabe ist es, als Kirche Ort der Hoffnung für die Welt zu sein." Zu den Aufgaben gehöre aber auch, kirchliche Strukturen umzubauen, weil die Kirche in den kommenden Jahren "weniger, älter und ärmer" werde.
Er leitet seit acht Jahren die Evangelische Akademie in Frankfurt, die 2017 konzeptionell neu aufgestellt wurde. Der in Darmstadt lebende Theologe ist Mitglied der EKD-Bildungskammer und veröffentlicht im Blog "glauben-denken.de" regelmäßig theologisch-essayistische Impulse. Er ist verheiratet und Vater von drei Kindern. Von der fundamentalistisch-konservativen Haltung seines Bruders Olaf, der kürzlich vom Bremer Amtsgericht wegen Volksverhetzung verurteilt wurde, distanziert sich Thorsten Latzel vehement.
Der Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Heinrich Bedford-Strohm, gratulierte Latzel. "Seine bisherige Arbeit ist geprägt von vielfältigen Impulsen und guten Ideen zu den notwendigen Reformprozessen in der evangelischen Kirche", so Bedford-Strohm am Donnerstag in Hannover. "Von daher wird er sich in den aktuellen Zukunftsprozessen der Landeskirche mit klarer Position einbringen und diese gut begleiten." Er freue sich auf die Zusammenarbeit in der EKD. Glückwünsche kamen auch aus der benachbarten hessen-nassauischen Landeskirche EKHN, die nach den Worten der stellvertretenden Kirchenpräsidentin Ulrike Scherf mit Latzel "einen ausgesprochen profilierten Theologen" verliere. Er habe den "Neuaufbau der Akademie im Zentrum Frankfurts maßgeblich vorangetrieben und in seiner Arbeit immer wieder deutliche theologische Akzente zu aktuellen Fragen gesetzt". Sie freue sich auf die Begegnungen in neuen Rollen.
Besonnen, eloquent und liberal
Besonnen, eloquent und liberal: Der künftige rheinische Präses Thorsten Latzel ist ein Gegenpol zu seinem fundamentalistischen Bruder. Die erstmalige Wahl eines Kandidaten von außen zeugt von Veränderungsbereitschaft in einer Zeit des Wandels. Thorsten Latzel steht für eine aufgeklärte Kirche, die fromm und politisch zugleich ist. "Ich brenne für unsere evangelische Kirche als eine weltoffene Gemeinschaft mit einem freien Glauben", sagt der wortgewandte und kommunikationsfreudige Theologe, der kreatives Denken zu seinen Stärken zählt.
Als Nachfolger von Präses Manfred Rekowski steht der 50-Jährige Latzel in den kommenden acht Jahren an der Spitze der Evangelischen Kirche im Rheinland. Seine Wahl zum leitenden Theologen der zweitgrößten deutschen Landeskirche ist ein Signal für Aufbruch und Veränderung.
Erstmals bestimmte die rheinische Landessynode mit Latzel, der seit 2013 die Evangelische Akademie in Frankfurt leitet und bei der EKD Erfahrungen mit Reformprozessen gesammelt hat, einen Kandidaten "von außen" zum Präses. Von dem ebenso besonnen und reflektiert wie eloquent auftretenden Theologen wird offenbar die Steuerung, Begleitung und Kommunikation eines tiefgreifenden Wandels in den kommenden Jahren erwartet.
Die vor ihm liegenden Aufgaben haben es in sich: Die rheinische Kirche mit ihren 37 Kirchenkreisen und 655 Gemeinden steht mehr denn je vor der Frage, wie sie ihren Auftrag mit immer weniger Geld und immer weniger Mitgliedern erfüllen kann. Eine Studie sagt eine Halbierung der Mitgliederzahl in den nächsten 40 Jahren voraus, ein Impulspapier für die aktuell tagende Landessynode konstatiert das Ende der Volkskirche und auch der scheidende Präses Rekowski stimmte die Landeskirche zu Synodenbeginn auf tiefgreifende Veränderungen ein.
Besonderes Augenmerk auf 20- bis 40-Jährige
Ideen für eine "weltoffene, gottvertrauende Kirche" als "Ort der Hoffnung für die Welt" bringt Latzel reichlich mit: Er wirbt für eine innovative Start-up-Kultur und neue Formen von Beteiligung, aber auch einen Umbau der Strukturen: "Wir werden auch mit weniger Menschen und Mitteln gut Kirche sein können, aber nicht in den jetzigen Formen. Sonst brennen wir aus."
Damit Kirche zukunftsfähig ist und die Weitergabe des Glaubens nicht abreißt, müsse den 20- bis 40-Jährigen ein besonderes Augenmerk gelten, rät Latzel. Im Zuge einer "Ermöglichungskultur" sollten junge Menschen mehr Verantwortung erhalten und auf die Kanzeln geholt werden. Von Laien lasse sich lernen, anders vom Glauben zu sprechen und aus Binnenmustern auszubrechen.
Latzel wurde am 29. September 1970 in Biedenkopf geboren und wuchs in einer strukturschwachen Region in Bad Laasphe im Kreis Siegen-Wittgenstein in einer interkonfessionellen Familie auf: der Vater Werkzeugmacher und katholisch, die Mutter Bankangestellte und evangelisch. Er studierte Evangelische Theologie in Marburg und promovierte 2002 in Heidelberg mit einer Arbeit über den Heidelberger Katechismus. Weil seine Frau Lehrerin in Hessen wurde, zog er von Westfalen in die Evangelische Kirche von Kurhessen-Waldeck, wo er zunächst als Vikar und dann drei Jahre als Gemeindepfarrer arbeitete.
Gefragter Debattenort für theologische und gesellschaftliche Themen
Im Jahr 2005 wechselte Latzel ins EKD-Kirchenamt, leitete als Oberkirchenrat das Projektbüro Reformprozess und war auch für Kirchenmitgliedschaftsuntersuchungen zuständig. Die ab 2013 von ihm geleitete Evangelische Akademie in Frankfurt stellte er 2017 konzeptionell neu auf und entwickelte sie zu einem gefragten Debattenort für theologische und gesellschaftliche Themen. Große Resonanz finden auch Latzels theologisch-essayistische Impulse jenseits des Kirchenjargons zu aktuellen Themen, die er regelmäßig im Blog "glauben-denken.de" veröffentlicht - eine Kontaktfläche zu Menschen, "die wir auf traditionellen Wegen nicht erreichen".
Latzel lebt mit seiner Frau und drei Kindern in Darmstadt. Seine beiden älteren Geschwister sind ebenfalls Theologen. Von der fundamentalistisch-konservativen Haltung seines Bruders Olaf, der kürzlich vom Bremer Amtsgericht wegen Volksverhetzung verurteilt wurde, distanziert sich Thorsten Latzel vehement und sagt: "Uns beide trennen theologisch Welten." Er selbst stehe für Wertschätzung, Vielfalt und Freiheit, betont der jüngste der Latzel-Geschwister, der sich als erster der drei fürs Theologiestudium entschied - und stets den Glauben und aufgeklärtes Denken zusammenbringen wollte.