Der überwiegende Teil der Bevölkerung gehört einer der beiden großen Kirchen an, die eine flächendeckende religiöse Versorgung organisieren: Dies war jahrzehntelang die Rolle und das Selbstverständnis der Volkskirchen in der Bundesrepublik. "Diese Phase ist zu Ende", stellt ein Impulspapier der Evangelischen Kirche im Rheinland nüchtern fest. "Es gibt kein selbstverständlich von der Mehrheit der Bevölkerung getragenes christliches Kirchtum mehr." Die Erosion der Strukturen und der Mitgliederschwund der großen Kirchen ließen den Begriff Volkskirche zunehmend leer werden: "Es gibt sie nicht mehr."
Die bisherigen Spar- und Strukturdebatten hätten sich bemüht, "die gewachsene volkskirchliche Gestalt der Kirche in kleinerem Maßstab zu erhalten", heißt es in dem Papier des Ständigen Theologischen Ausschusses der rheinischen Kirche, das auf der in dieser Woche tagenden Landessynode beraten wird. Mit begrenztem Erfolg und "verblassenden Zauberworten" wie Gemeindekonzeptionen oder Steuerungsgruppen. Die Autorinnen und Autoren sehen diese Strategie einer "Übergangszeit" am Ende, weil weiterer Optimierungsdruck die Mitarbeitenden unerträglich belaste, die Arbeit ausdünne und die Kraft und geistliche Integrität der Kirche gefährde.
"Kirche von morgen säen"
Es gelte deshalb nicht mehr zu fragen "Wie können wir möglichst viel der Kirche von heute erhalten?", sondern "Was können wir tun, um Samenkörner einer Kirche von morgen zu säen?", rät das Gremium. "Gegenüber früheren Prozessen, die den Zerfall der Volkskirche aufzuhalten versuchten, könnte der Akzent jetzt darauf gelegt werden, ihn zu beschleunigen und bewusst zu gestalten."
Auf dieser Basis stellt der Ausschuss "eingespielte Traditionen" und bislang Selbstverständliches infrage. Auf der Suche nach der künftigen Gestalt von Kirche werden zugleich drei Bilder skizziert, die leitend sein könnten. Als "Lobbyistin der Gottoffenheit" solle die Kirche für "die neugierige Frage nach Gott" werben und christliche Werte und biblische Perspektiven in den gesellschaftlichen und politischen Diskurs einbringen, etwa indem sie in ihren diakonischen Angeboten "jenseits von Kostenpauschalen ein christliches Verständnis vom Menschen stark und erkennbar" macht. Die Kirche schulde der Welt die "biblische Hoffnung".
Alternative zum Wachstumsethos
Als bündnisfähige "Teamplayerin" solle die Kirche Kontakt zu anderen Kirchen, Religionsgemeinschaften und zivilgesellschaftlichen Akteuren suchen und mit ihnen gemeinsame Sache machen, "wenn es möglich ist, gemeinsame Werte und Ziele zu vertreten". Drittens solle sich Kirche als "Agentin des Wandels" für eine nachhaltige Veränderung der Gesellschaft einsetzen, indem sie eine "Ethik des Genug" als Alternative zum aktuellen Wachstumsethos entwickelt, die Bewegung "Fridays for Future" unterstützt und selbst verbindlich Klimaschutz-Maßnahmen umsetzt.
Aus diesen Bildern ergeben sich für die Autoren zahlreiche konkrete Fragen für das künftige kirchliche Leben. Vor allem bei Taufen, Trauungen und Bestattungen müsse stärker auf die Wünsche und Bedürfnisse der Menschen eingegangen werden, heißt es. Auch Menschen, die nicht getauft sind oder einer anderen Religion angehören, müssten sich in der Kirche einbringen und mitarbeiten können - zu diesem Aspekt legte der Ausschuss ein weiteres Impulspapier vor. Gottesdienst und Liturgie könnten künftig gemeinsam mit den Menschen verändert werden.
An regionale Grenzen anpassen
Eine Kirche als Teamplayerin mit anderen religiösen und gesellschaftlichen Akteure werde "Steuerprivileg und die Staatsleistungen zur Debatte stellen", heißt es. "Sie wird öffentlich genauso für den hörbaren Muezzinruf eintreten wie für das Glockengeläut der Kirchen." Ferner werde sie anstreben, "ihre regionalen Grenzen an bestehende Stadt, Kreis- und Landesgrenzen anzupassen, um Kooperationen leichter und effektiver zu machen".
Als "Agentin des Wandels in der Gesellschaft" werde eine beweglichere und veränderungsbereitere Kirche auch über den Beamtenstatus von Pfarrern Verwaltungsmitarbeitern nachdenken, schreibt der Ausschuss. "Ihre primäre Sorge gilt nicht ihrer Selbsterhaltung, sondern dem Einsatz für gesellschaftliche Transformation hin zu mehr Gerechtigkeit, Frieden und Bewahrung der Schöpfung."