Köln (epd). Der Bildungsdirektor der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD), Andreas Schleicher, warnt vor eine wachsende Bildungsungerechtigkeit durch den Corona-Lockdown. Das vergangene Jahr sei vor allem für Kinder aus sozial benachteiligten Familien ein verlorenes Jahr gewesen, sagte Schleicher am Montag im WDR-"Morgenecho": "Es ist viel an Lernmöglichkeiten verloren gegangen, viele Schüler erreichen so nicht die Lernziele." Homeschooling sei derzeit noch kein Ersatz für Präsenzunterricht. "Die Digitalisierung ist in Deutschland erst in den Anfängen, also noch lange nicht in einem Status, in dem man es als Ersatz nutzen kann", sagte Schleicher.
Weniger Lernen bedeute auch schlechtere Chancen am Arbeitsmarkt, warnte der Bildungsexperte. "Die Chancenungerechtigkeiten, die es ohnehin im deutschen Bildungssystem gibt, werden durch diese Krise noch einmal deutlich verstärkt", beklagte Schleicher, der auch internationaler Koordinator der sogenannten PISA-Studien ist. Für Schüler, die selbstständig lernen könnten und mit Digitaltechnik umgehen könnten, sei es nicht so tragisch. Aber Schüler, die das nicht gelernt hätten und die diese Möglichkeiten nicht hätten, stünden vor großen Schwierigkeiten. Für Kinder in den ersten Lebensjahren bleibe Präsenzunterricht entscheidend.
Für ältere Schüler könne Hybrid-Unterricht eine Möglichkeit werden, sagte Schleicher weiter. Hier sei Deutschland aber auf dem Gebiet der Digitalisierung noch nicht ausreichend vorbereitet. Durch die Pandemie habe es an den Schulen einen "unglaublichen Innovationsschub" gegeben. Die Chancen der Digitalisierung würden gesehen. Für die jetzige Generation sei es jedoch zu spät. Durch die Digitalisierung könne Lernstoff interessanter gemacht werden und das Lernen stärker individualisiert werden. Viele Möglichkeiten würden bereits an Schulen genutzt, das sei jedoch noch nicht flächendeckend der Fall.